Vor einiger Zeit baten wir unsere User uns ihre Lieblingsalben vorzustellen. Sie sollten uns in Form einer kurzen Review erzählen, warum sich dieses eine bestimmte Album einen besonderen Platz in eurem Plattenschrank verdient hat. In unserer neuen Rubrik „All Time Classic“ sollen die besten Einsendungen ihren Platz auf 16bars.de finden.
Dieses Mal stellt uns Oliver I. mit seinem Lieblingsalbum einen Meilenstein in Sachen deutschen Straßenraps vor: Bushidos „Vom Bordstein bis zur Skyline„.
Es können wohl nicht viele Musikliebhaber behaupten, dass sie kein Geringerer als George W. Bush zu Deutschrap gebracht hat. Dieser hielt es im Jahr 2003 für nötig zwecks Ressourcensicherung den Irak zu bombardieren. Wenige Monate später liefen auf den Musiksendern die Videos von ?Mein Block? und ?Electro Ghetto? rauf und runter, die eine neue Ära in der deutschen Hip-Hop-Szene begründeten.
Doch wo ist jetzt der Zusammenhang? Die besagten Lieder haben schließlich eher wenig mit Politik zu tun. Bislang hatte ich aufgrund des sozialkritischen Einschlages eher Bands wie Die Ärzte oder System of a Down gefeiert, so wie es sich für einen mehr oder weniger aufmüpfigen Jugendlichen gehörte. Doch irgendwie faszinierte mich die neue Garde des Deutschraps. Auch wenn die überladenen Ghettoklischees teilweise unfreiwillig komisch wirkten, war es dennoch ein Einblick in einen Teil Deutschlands, der mir bis dahin fremd war. Als mir dann zu Ohren kam, dass es von Bushido ein Lied namens ?Stupid White Man? gab, wurde ich endgültig neugierig.
Der Titel ist eine Referenz einen Bestseller von Michael Moore, dessen Erfolg sich durch eine Welle des Antiamerikanismus in Europa erklärte. Da ich auf dieser Welle mitritt, besorgte ich mir die Platte und war vom Lied gleich absolut begeistert. Der zutätowierte Deutsch-Tunesier, den damals wie heute der ganze Hass der schockierten Öffentlichkeit traf, schilderte eindrucksvoll die Perspektive eines unschuldigen Moslems im Krieg und fragte ?wieviel Geld brauch man um tote Kinder aufzubauen??. Der Beat, die eingebauten Zitate aus der Irakberichterstattung, der emotional vorgetragene Rap, alles stimmte. Den Rest des Werkes verschmähte ich jedoch weitestgehend und ich widmete mich wieder rockigeren Klängen.
Als ich dann herausfand, welchen Einfluss das Album auf die deutsche Szene hatte, beschäftigte ich mich intensiver damit. Anfangs waren es nur Thementracks wie ?Drecksstück? oder ?Eine Kugel reicht?, die mir gefielen. Doch über die Jahre hinweg wurde es zu meinem absoluten Lieblingsalbum, das in jeder Lebenslage, sei es beim Sport, Autofahren oder Stress mit Frauen, den passenden Titel bietet.
Es gibt viele schlechte Alben, einige gute und eine handvoll Klassiker, bei denen jeder Track ein Meisterwerk für sich ist. ?Vom Bordstein bis zu Skyline? gehört zweifelsohne zu den Letzteren. Allerdings ist es weder Bushidos Rap, noch seine Reimtechnik, die es so einzigartig machen. Denn diese sind höchstens überdurchschnittlich. Es ist vielmehr die authentische Atmosphäre, die der damalige Aggro Berlin-Künstler erzeugt. Die Beats wirken wie aus einem Guss und sind wahrscheinlich das Beste, was bis heute auf einer hiesigen Rap-CD zu hören waren. Diese versetzen den Hörer gemeinsam mit Bushidos Stimme, damals noch deutlich rauher als heute, direkt auf die verdreckten Straßen des noch hipsterfreien Berlins. Nachrichten von Unterweltgestalten und Rapkollegen auf Bushidos Anrufbeantworter verleihen dem Ganzen zusätzlich einen roten Faden.
Ob Kollaborationen mit seinem kongenialen Partner Fler, betörende Gesänge von Sahira oder messerscharfe Mobb Deep-Scratches, ich könnte stundenlang weiter aufzählen, welche liebevollen Details dieses Album so besonders machen. Doch jeder, der sich ernsthaft mit Deutschrap auseinandersetzt, hat es sowieso schonmal gehört und selbst knallharte Kritiker des späteren Superstars können der Scheibe noch etwas abgewinnen.
Dazu trägt wohl auch bei, dass es eines der härtesten Alben des deutschen Gangsterraps ist. Ob die schwulen- und frauenfeindlichen Texte in Kinderzimmer gehören, hat die BPjM mittlerweile beantwortet. Dass sie jedoch vielmehr Ausdruck eines Lebensumfeldes sind, das mit dem Rest von der Bundesrepublik wenig gemein hat, wird dabei häufig vernachlässigt. Das macht ?Vom Bordstein bis zu Skyline? zu einer der wichtigsten musikalischen Milieustudien in Zeiten von Sarrazin und Integrationsdebatten und ist damit vom Kleinkriminellen bis zum Politiker für jeden interessant.
- Oliver I.
Schickt uns auch weiterhin eure „All Time Classic„-Reviews! Ob es sich dabei um ein Release eines deutschen, amerikanischen, französischen oder sonstigen Künstlers handelt, ist dabei völlig egal. Erzählt uns was euch mit dem Album verbindet und was es so einzigartig macht. Die besten Einsendungen werden veröffentlicht und mit einem 16bars.de-Goodiepaket prämiert. Sendet eure Vorschläge bitte mit Namen und Anschrift an [email protected].
