Durchgehört: G.O.O.D. Music - Cruel Summer

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?Can’t a young nigga get money anymore?? Dies scheint wohl eine der zentralen Fragen zu sein bei allem, was Kanye West anpackt. Während er sich als Produzent und Künstler oft merklich verbissen zu übertreffen versucht, erklimmt der Louis Vuitton Don die nächste Stufe und baut sich, als einer der einflussreichsten Musiker des letzten Jahrzehnts, eine Brigade an Künstlern unter seiner eigenen Führung auf. Letzte Woche erschien nun die erste Compilation LP seines Labels G.O.O.D. Music, das abgekürzt für die blumige Phrase „Getting Out Our Dreams“ steht. Wie auch bei ?Watch the Throne? hatte man durch die zahlreichen Vorabreleases aus dem Projekt und dem auf Cannes präsentierten Kurzfilm das Gefühl, dass der Klassikerstatus des Longplayers von vornherein unerbittlich vom Hörer eingefordert wurde. Ob das Werk den heraufbeschworenen exorbitanten Erwartungen gerecht werden konnte, wurde endlich mit dem langersehnten Release des Labelsamplers ?Cruel Summer? gelüftet.

Mit ?To the World? hat man den perfekten Track als Auftakt für das G.O.O.D. Music Kollektiv erschaffen, das für die kommenden 60 Minuten die Bühne einnehmen wird und ihren Platz in der Liga der Super Groups ergreift. Für die auftrumpfende Nummer wird alles aufgefahren, was es für eine epische Eröffnung der LP braucht: Hart marschierende Drums, fliegendes Synthie-Geflirre, Rick Ross Hommage, Piano, Streicher, die nötige Attitüde und einen ganz und gar begnadeten R. Kelly zurück auf Siegeszug. ?R. Kelly and the God of Rap shitting on you, holy crap!?

Die nächsten fünf Tracks auf der Liste stellen die erste, raplastigere Hälfte der Compilation dar. Den Anfang macht dabei der bereits ausgekoppelte Hit-Boy-Banger ?Clique?, auf dem sich Kanye West, Jay-Z und Big Sean das Mikro weiterreichen. Mit voranschreitender Nähe zur Hook wird die im Vordergrund stehende Bassline zunehmend von einem aufdrehenden Beatgewitter eingeholt, das wohl die Spannung in seiner dramatischen Dynamik bis zur Entladung in der repetitiven ?Clique?-Beschwörung Big Seans ins Unermessliche steigern soll. Leider birgt es in der Form keine innovative Überraschung mit sich, da schon 100fach vorher da gewesen. Jay-Z zeigt dabei im Vorbeigehen, was Big Sean so überhaupt nicht zu gelingen vermag: Eine derartige musikalische Gewalt zu bändigen und für sich arbeiten zu lassen. Kanye ist ok, wie im Verlauf der Platte so oft.

Auf dem ausgiebig bekannten und mit Platin ausgezeichnete ?Mercy?, bekommt Big Sean daraufhin die Gelegenheit seine Stärke wieder ins rechte Licht zu rücken und mühelos eine Swag ausprühende Zote nach der anderen zu seinem liebsten Thema zu reißen. Ansonsten besticht die Ode an die Arroganz mit einem ebenso überzeugenden Pusha T, dem ansteckenden Super-Beagle-Sample und nicht zuletzt dem denkbar coolsten Video, das wieder mal Kanye Wests untrügliches Gespür für brillierende Ästhetik beweist.

Der ebenfalls releaste ?New God Flow? im College Dropout Stil kommt über einem typischen Kanye-West-Beat aus Klavierklängen und Unterbrechungen stampfender Kicks daher. Neben einem mittelmäßgen Kanye, seinem wieder gegen Young Money austeilenden loyalen Gefolgsmann Pusha und derer breiten Palette an biblischen Mehrdeutigkeiten und Kokain-Wortspielen, featuret der Track auch Wu-Tang-Mitglied Ghostface Killah. In einer unglücklichen Weise für seine Gastgeber stiehlt der Altmeister mit seinem Part allen die Schau.

Qualitative Abstriche gibt es wieder auf ?The Morning?. Der auf Dauer anstrengende und uninspirierte Beat, wie über die Handytastatur eines Nokia 3310 eingespielt. kann auch durch die patethisch gesungene Hook des Nigerianischen G.O.O.D. Music-Signings D’banj nicht mehr aufgewertet werden. Paradoxerweise hat der sonst eher abstinkende CyHi Da Prynce hier seinen persönlichen Höhepunkt auf dem Sampler.

Zu dem seit April im Netz unter dem vorherigen Namen ?Theraflu? kursierenden ?Cold? gibt es nicht mehr viel zu sagen, nachdem ein roher Kanye auf einem unbändigen Exzess von Beat über sein Privatleben auspackt. Bleibt nur noch PETA auszurichten, dass Ye?s Nerzmantel hinter ihm über dem Boden schleift.

Womit wir nun zur inoffiziellen zweiten Hälfte des Albums kommen: Dieser eher gesangs- und soullastige Abschnitt wird ohne Umschweife direkt mit einem auf die Lendengegend abzielenden ?Song für die Ladies? eingeleitet, der seine Wirkung zugegebenermaßen nicht verfehlt. Lyrisch zwar nicht die Bombe, übernimmt Pusha T auf „Higher“ mit seinem einnehmenden Flow gekonnt das Ruder während sich The Dreams sinnlicher Gesang ausschwärmend über die hypnotische, feuchtwarme Beat-Wolke ausbreitet. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle auch das sehr funkige Outro vo No I.D.?s Cocaine 80s. Einzig der unzweideutige Ex-Pastor Mase passt mit seiner dumpfen Stimme so gar nicht in das Stück.

Ähnlich weiter geht?s auf ?Sin City?, auf dem Houstons neuer Goldjunge in der Mache Travi$ Scott überzeugend über seine tiefen Klanggewässer aus gedämpften Drums und schweren synthetisierten Bässen schwimmt und den Hörer auch auf lyrischer Ebene direkt zu Beginn einfängt. Teyana Taylor, einem breiteren Publikum bekannt aus MTV?s ?My super sweet 16? kann abgesehen von ihren gesampelten Staccato-Vocals eher auf dem noch kommenden Duett ?Bliss? begeistern.

?The One? markiert hingegen den subjektiven Schwachpunkt auf der Platte. Die mit Trommelwirbel wie aus dem Spielmannszug ausgestattete furchtlose Hymne mit Marsha Ambrosius glattem Gesang wirkt alles in allem fahl und energielos. 2 Chainz scheint dabei die absolut falsche Besetzung für den balladigen Song zu sein und auch der Rest bestehend aus Kanye West und Big Sean hatten schon bessere Momente auf der CD.

Wer sich zu Kid Cudi?s Fans zählt, wird wahrscheinlich Freude an dessen Solotrack ?Creepers? finden. Der kribbelige und gleichzeitig atmosphärische Offbeat bleibt Geschmackssache, jedoch macht der Man on the Moon mit seiner aufgeriebenen Vortragsweise seiner introspektiven Lyrics einen nicht zu beanstandenden Job, bevor es mit ?Bliss? ans letzte Gesangsstück auf ?Cruel Summer? geht: Ein angenehmes Mid-Tempo-Duett, zu dem Hudson Mohawke harte Snares und 80er Synthies hinzuschneiderte. John Legend ist dabei wie immer absolut unfickbar.

Während der Labelsampler soulig begonnen wurde, endet er mit einem aufgehypten Knall. Es lässt sich sicherlich darüber streiten, ob ein Remix, der zuvor bereits zum freien Download angeboten wurde, auf ein Album gehört. Der Produzent des gemasterten Straßen-Riesenerfolgs Young Chop, war jedoch wenig erfreut über Yeezy?s Hand auf dem ?Don?t Like?-Remix, für den Chief Keef eigens einen neuen Part aufnahm. Obwohl man sich schon ein bisschen darüber wundert, was die Herren so alles nervt, wie in Kanye Wests Fall fake Mode-Lesben (?But unless they use a strap-on they not dykes?), bietet der geladene Track den optimalen Abschluss für ?Cruel Summer?. Was in ?To the World? mit ?middle finger to the sky tonight? gebahnt wurde, wird hier im selben Rahmen und unter merklicher Leidenschaft aller Beteiligten aus Kanye West, Chief Keef, Pusha T, Big Sean und Jadakiss abgeschlossen. Auch Young Chop dürfte sich angesichts seiner dadurch ebenfalls steigenden Bekanntheit nicht beschweren können.

Um ein abschließendes Fazit zu ziehen, muss man sich das Ziel eines Labelsamplers vor Augen halten: Das Team soll seine verdiente Bühne erhalten, um der Welt sein Können als Gesamtgruppe und im Einzelnen unter Beweis stellen zu können und sich sein verdientes Standing einzufordern. Leider ist das nur bedingt gelungen. „Cruel Summer“ stellt sich als solide Track-Zusammenstellung heraus, lässt aber eine in sich geschlossene Homogenität vermissen. G.O.O.D. Music ist als Einheit weder in den Solotracks der Künstler zu greifen, noch an der Seite Kanyes, der auch schon mal enthusiastischer bei der Sache war.

Auch sind viele der Glanzmomente der LP den hochkarätigen Gästen zu verdanken oder wurde wie im Fall von ?Mercy? bereits vor geraumer Vorzeit als Vorbote des Samplers vorweggeschickt. Angesichts der daraus resultierenden Erwartungshaltung an das Album, die auch der Titel als provokante Aussage weiter aufrechterhält, dürfte „Cruel Summer“ einige Enttäuschungen hervorrufen. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei ?Cruel Summer? um ein gediegenes Stück Musikgeschichte aus dem Jahr 2012, dessen unbestreitbare Höhepunkte in der Bilanz überwiegen.