"Dringender Reformbedarf": Oliver Rabbat über die MPU

Wie wir gestern bereits berichtet haben, haben wir vor einigen Tagen mit dem Anwalt Oliver Rabbat über das Thema Cannabis gesprochen. “Ich bin Fachanwalt für Strafrecht hier in Berlin Kreuzberg. Ich hab mich auf das Gebiet Cannabis spezialisiert. Cannabis in strafrechtlicher Hinsicht, Cannabis in verkehrsrechtlicher Hinsicht und Cannabis in medizinischer Hinsicht.”

Wird man hinter dem Steuer mit Cannabis erwischt, kommt es oftmals zum Entzug der Fahrerlaubnis. Um diese wiederzuerlangen, müssen die meisten Personen eine Abstinenz und anschließend eine MPU (medizinisch-psychologische-Untersuchung) absolvieren. Diese besteht aus insgesamt drei Teilen:Einem medizinischen Check, einem Leistungstest am Computer und einem psychologischen Gutachten„, so der ADAC. Dabei soll die circa einstündige und auf die „Fragestellung ausgerichtete Unterhaltung“ durch eine*n Gutachter*in schriftlich dokumentiert werden. „Mittlerweile kann – wie vom ADAC über Jahre gefordert – auf Wunsch des Betroffenen auch eine Tonoder Videoaufzeichnungen angefertigt werden, um das Gespräch nachprüfbar zu belegen. Die Träger der Begutachtungsstellen bieten diesen Service zwar flächendeckend an, aber oftmals nur auf speziellen Wunsch und teilweise gegen Übernahme der Kosten durch den Betroffenen.“

Doch was sagt Oliver Rabbat dazu? „Du musst in so eine MPU reingehen und wissen, es geht nicht unbedingt um die Wahrheit. Es geht um die Frage, möchtest du deinen Führerschein haben? Und was sagst du, um deinen Führerschein zu bekommen.“ Ein Beispiel: Wird bei einem Mandanten mehr als ein Nanogramm THC im Blut festgestellt, der vor 24 Stunden „gekifft“ hat, muss ihm klar sein, dass, wenn er die Wahrheit sagt, er sich selbst einen „Strick aufdreht“. „Das wird dann nicht irgendwie günstiger für ihn ausgelegt, sondern, dann kommen die ‚bei gelegentlich/seltenen Konsumenten sagen wissenschaftliche Studien, dass der aktive THC-Wert nach spätestens 12 Stunden unter ein Nanogramm gesunken ist. Nur bei Leuten, die viel Kiffen, ist da noch länger als 24 Stunden was zu finden‘. Wenn du dann eben mit der Wahrheit kommst, bedeutet das für dich, durch die MPU gerasselt zu sein […]“. Auch wenn die Aussage des Mandanten der Wahrheit entspricht und er vor über einem Tag einen Joint geraucht hat, könnte er von den Beamt*innen so dargestellt werden, als sei er nicht nur ein Gelegenheitskiffer, sondern ein Dauerkonsument – denn ist der Wert bei der Kontrolle „immer noch“ über einem Nanogramm, „muss“ der Joint innerhalb der letzten Stunden geraucht worden sein, oder er konsumiert öfter. Dass diese Annahme falsch ist, erklärte Oliver Rabbat: Denn jeder Organismus ist anders. Das heißt, dass die Körper von Menschen das THC unterschiedlich schnell abbauen. Deswegen ließe sich der aktuelle Wert nur schwer verallgemeinern.

Des Weiteren fuhr er fort: „Das sind Punkte, wo diese Werte vom Konsumzeitpunkt wieder für dich relevant werden. Wo dann eben für dich Fallen praktisch sind, wo du dich um Kopf und Kragen reden kannst. Bei den Werten selbst merkst du immer, desto höher der Wert, umso eher die Tendenz da ein unverantwortliches Verhalten draus zu kreieren. Ich hab das immer wieder in Strafprozessen, dass die sagen ‚oh, mit zehn Nanogramm – das ist ja das Zehnfache von dem Grenzwert‘. Ein bisschen angelehnt an Blutalkohol. Klar macht’s bei Alkohol einen Unterschied, ob du 1,0 hast oder 3,0. Da kannst du schon sagen, da hast du richtig heftig gesoffen und hast anscheinend auch ein Alkoholproblem. Da hat man schon diese Dimension: Mehr BAK-Konzentration (Blutalkohol), umso schlimmer. Das versuchen die manchmal auf das Cannabisalso auf das THC zu übertragen, wobei denen nicht klar ist, dass es nicht linear ist. Also, dass wie gesagt viel von deinem Konsumverhalten abhängt und auch wann du gekifft hast. Da gibt’s eben auch diese CarbonsäureWerte. Eigentlich interessieren mich als Verteidiger immer zwei Werte: Erstmal der aktive THCWert und zweitens der CarbonsäureWert. Der Abbauwert.“

Die MPU habe laut ihm zwar eine „gewisse Berechtigung“, jedoch nicht bei allen Personen. Die Idee hinter der medizinisch-psychologischen-Untersuchung sei, ein psychologisches Element miteinzubringen. Jedoch dürfte es seiner Ansicht nach kein „Massenverfahren“ sein, dass durch die Polizei und den Staat veranlasst wird: „Ich denke schon, dass es einige Leute gibt, die im Straßenverkehr nichts zu suchen haben, die einfach gefährlich sind. Einfach weil sie ihre Aggressionen nicht im Griff haben oder was weiß ich […] Vielleicht haben sie ein psychologisches Problem und ich denke in so welchen Fällen, […] wäre eine MPU wirklich angebracht, aber es dürften dann nicht mehr diese Massenverfahren sein. Jetzt ist das so, du bezahlst eine Menge Kohle für eine Stunde Untersuchung – halbe Stunde medizinisch, halbe Stunde psychologisch. Und das ist so eine Fließbandarbeit. Ich denke, ich würde die MPU dann eher teurer machen, dann auch über eine längere Zeit, dass die tiefer in dich eindringen können, aber nicht jetzt bei Cannabis-Leuten. Da ist dieses ganze Gerüst fehlerhaft. Dringender Reformbedarf, auch was die MPU anbelangt, weil die wird zu so einer hohlen Übung, was ich gerade meinte. Wenn du die Wahrheit schon nicht mehr sagen darfst, das gehört ja dann auch dazu bei der MPU  […] da sind so viele moralische Wertungen dabei, die ja immer darauf zurückkommen, Cannabis ist super böse. Also du bist eigentlich schon gezwungen eine Story zu entwickeln – Vorher/Nachher.“

Bereits vor dem Antritt einer MPU müsse man sich die Geschichte also überlegen, die man den Gutachter*innen verkaufen möchte. Die Wahrheit sei dabei derzeit zweitrangig. „Du musst mit so einer Story kommen und das ist einfach eklig zu so einer Übung zu gehen, wo du auch nicht die Wahrheit sagen darfst. Wo du nicht sagen darfst, ‚ich kiff nun mal lieber als Alkohol. Alkohol halte ich für scheiße.‘ Dann bist du durchgerasselt. Das ist nicht vertretbar. ‚Wie du wünschst dir die Legalisierung? Das ist ja ein total problematisches Verhältnis Drogen gegenüber.‘ Jetzt mal im Ernst: Was hat das da zu suchen? Und dafür bezahlst du auch noch eine Menge Kohle. Also dass du da unwiderlegbar lügen musst, um bestehen zu können, das ist doch peinlich. Und wie gesagt, ich denke die MPU hat Bereiche, wo sie eine Berechtigung hat, aber da verspielt die ihren guten Ruf.“

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