Sampling: Was geht noch nach Urteil gegen Moses P.? Henning Fangmann Interview

Seit mehreren Dekaden wärt ein Rechtsstreit zwischen Moses P. und Kraftwerk. Wir haben mit Rechtsanwalt Henning Fangmann über die Hintergründe der juristischen Differenzen gesprochen.

Hallo Henning, heute standen sich Moses Pelham und die Band Kraftwerk in einem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gegenüber. Seit wann hat Moses P. Beef mit den Gründungsvätern des Techno und worum geht’s da?

Mit dem heutigen Urteil fügt der BGH einem über 20 Jahre andauernden Rechtsstreit ein weiteres Kapitel hinzu. Daher muss man ein wenig in die deutsche Rap-Geschichte zurückblicken.

Moses Pelham ist ja selbst nicht nur Rapper, sondern auch Komponist und Producer. So produzierte er etwa in den 90er-Jahren nahezu alle Songs von Sabrina Setlur, darunter auch den Track „Nur mir“. Für den Beat des Liedes wurde ein Ausschnitt aus einem Stück der Band Kraftwerk genutzt. Es handelte sich dabei um ein zweisekündiges Sample aus deren Song „Metall auf Metall“ von 1977. Diese Tonfolge, die wie aufeinandergeschlagene Metallstücke klingt, wurde geloopt und leicht verändert und liegt dem ganzen Stück als Rhythmus zugrunde. Moses Pelham hat die Band vorher allerdings nicht um Erlaubnis gefragt.

Kraftwerk war davon nicht gerade begeistert. Zwei Mitglieder der Band haben daher im Jahr 1999 Klage erhoben und wollten vor allem erreichen, dass der Song nicht mehr verbreitet werden darf und Moses P. Schadensersatz für die Nutzung zahlt.

Du hast eben den Begriff des „Samples“ erwähnt. Nochmal kurz für alle Leserinnen und Leser – was hat es mit Sampling auf sich?

Sampling bezeichnet eine Technik, bei der bereits bestehende Töne oder Tonfolgen, das sogenannte Sample, einem Musikstück entnommen und dann in ein neues eingefügt werden. Meist wird das Sample für den neuen Track bearbeitet, indem etwa die Geschwindigkeit oder Tonhöhe verändert oder das Sample fortlaufend wiederholt, also geloopt, wird. Das war ja auch hier der Fall.

Okay, und warum ist dies für den Hip-Hop so bedeutsam?

Weil es Hip-Hop ohne Sampling nicht gäbe. In den 70er-Jahren wollten ein paar Typen wie Kool DJ Herc in der Bronx einen neuen Sound kreieren. Sie hatten aber keine eigenen Instrumente dafür und hätten diese auch sowieso nicht spielen können. Daher haben sie Schallplatten auf verschiedenen Plattentellern abspielen lassen und diese zu einem neuen Beat ineinander gemischt. Das war die Geburtsstunde des Hip-Hops und das Sampling stand dabei Pate.

Seitdem kann man sich eigentlich keinen Hip-Hop Track mehr ohne Sampling vorstellen. Egal ob Sugarhill Gang, Mobb Deep, Kool Savas oder Capital Bra – all diese Rapper nutzen Samples aus anderen Songs für ihre Beats. Daher gehört Sampling auch zur Kulturgeschichte des Hip-Hops. Man denke nur an den legendären Sampler MPC, mithilfe dessen unzählige Beats entstanden sind und noch immer entstehen. Sampling ist zudem nicht nur eine musikalische Technik, sondern auch eine Respektsbekundung gegenüber den ursprünglichen Interpreten, mit der diese Künstler gefeiert werden.

Und wo liegt jetzt genau das Problem? Worüber streiten sich Moses Pelham und Kraftwerk bis aufs Messer?

Das Problem ist, dass dem Produzenten eines Albums an den Aufnahmen bestimmte Rechte zustehen. Das ist das sogenannte Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers. Dahinter verbirgt sich vor allem das Recht, zu entscheiden, wer in welcher Art und Weise die Aufnahmen nutzen darf. Dabei sind selbst einzelne Töne geschützt und dürfen grundsätzlich nicht einfach ohne Zustimmung des Produzenten verwendet werden.

Dieses Recht kann aber Einschränkungen durch das Urheberrechtsgesetz unterliegen, insbesondere durch das Recht auf freie Benutzung und das Zitatrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat schon vor einiger Zeit in diesem Fall auch betont, dass auch die Kunstfreiheit berücksichtigt werden muss. In dieser Konstellation stellen sich viele urheberrechtliche Einzelfragen, die ich an dieser Stelle gar nicht alle aufwerfen will. Nur so viel: Es ist kompliziert. Und da viele urheberrechtliche Konstellationen auch auf europäischer Ebene geregelt sind, hat sich im vergangenen Jahr auch schon der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem Fall befasst.

Wie ging das Verfahren denn heute nun aus?

Heute verließen noch beide Parteien erhobenen Hauptes den Gerichtssaal, denn der BGH hat die Sache an das OLG Hamburg zurückverwiesen. Die schlechteren Chancen, das Verfahren noch zu gewinnen, hat aber Moses P.

Das OLG muss nun klären, ob Moses Pelham auch nach dem 22.12.2002 den Song noch weiterverbreitet, also vor allem als CD in den Handel gebracht hat. Bis zu diesem Datum war das aufgrund der im deutschen Urheberrechtsgesetz vorgesehenen Ausnahmeregelung der freien Benutzung zulässig, seit Ende 2002 gelten aber europaweit neue Urheberrechtsregeln.

Danach wäre die Verbreitung des Samples ohne Zustimmung von Kraftwerk nur dann rechtmäßig, wenn der durchschnittliche Musikhörer das Original im neuen Song nicht wiedererkennen würde. Im Fall von „Nur mir“ ist das aber nach Ansicht des BGH so.

Damit blieb Moses P. nur noch der Notanker des Zitatrechts. Aber auch dies hat der BGH abgelehnt, da aus seiner Sicht für die Hörer nicht erkennbar war, dass der dem Beat zugrundeliegende Loop aus einem anderen Song übernommen wurde. Zudem wurde Kraftwerk nicht als Quelle des Samples benannt.

Was bedeutet das Ganze nun für alle, die Samples nutzen? Können Beatbastler und Musikproduzenten weitermachen wie bisher?

Das Urteil dürfte vom Rapper zum Producer große Auswirkungen auf viele Akteure in der Hip-Hop-Szene haben. Der BGH hat klargestellt, dass Sampling nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen zulässig ist. Meines Erachtens dürfte dies nun nur noch in vier Konstellationen der Fall sein.

Erstens, das Sample ist ein Zitat. Dazu muss der Originalausschnitt wiedererkennbar im neuen Song eingebaut werden, mit dem Original interagieren und die Quelle des Ausschnitts etwa im Booklet benennen.

Zweitens, das Sample wird so stark bearbeitet und verändert, dass es in dem neuen Beat nicht mehr wiederzuerkennen ist. Wann diese Voraussetzung erfüllt sind, lässt sich pauschal kaum sagen.

Drittens, das Sample wird selbst nachgespielt. Das dürfte in der Praxis wohl nicht realistisch sein.

Und viertens, die einfachste und verbreitetste Lösung: Man holt sich vor der Nutzung die Zustimmung der Rechteinhaber ein. Das kann zwar den Schaffensprozess verzögern oder sogar das Sampling unmöglich machen, wenn sich die Interpreten sträuben. Aber es ist auf jeden Fall der sicherste Weg.

Eine Frage noch zum Schluss: Wann ist dieser Streit nun endlich beigelegt?

Da muss man abwarten, bis das OLG Hamburg entschieden hat. Dann kann sich Moses Pelham überlegen, ob er Chancen sieht, damit nochmal vors Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Beiden Parteien geht es hier ja ums Prinzip – ausgeschlossen ist eine langjährige Fortsetzung daher noch nicht.

Danke für das Interview!

Henning Fangmann ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Spirit Legal in Leipzig. Er berät Kreativschaffende und Unternehmen in allen Fragen des Urheber-, Medien- und Wettbewerbsrechts.