Review: Haftbefehl - Blockplatin

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Seit etwas mehr als einer Woche ist Haftbefehls Album „Blockplatin“ nun auf dem Markt und wenn man den Trendcharts Glauben schenken darf, steuert der Offenbacher mit seinem dritten Release auf Albumlänge geradewegs auf eine Platzierung in der oberen Hälfte der Top Ten zu. Geschuldet ist dies ohne Zweifel einem Hype, der sich in Anbetracht der durchwachsenen Resonanzen zum letztjährigen „Kanakis„, durchaus wie ein zweiter Frühling für den ehemaligen Echte Musik-Künstler anfühlt.

Nachdem Haftbefehls Erscheinen auf der größeren Bildfläche des deutschen Raps im Jahre 2010 sowie sein im selben Jahr veröffentlichtes Debütalbum „Azzlack Stereotyp“ dem stagnierenden Genre des Straßenraps neues Leben einhauchte, wurden die eigentlich recht marginalen Stilwechsel auf „Kanakis“ sowie die offensive Einführung seines eigenen, titelgebenden Slangs, vielerorts mit Unverständnis und Ablehnung quittiert. Obwohl das Album ohne Zweifel zu den besten Deutschrap-Releases des letzten Jahres gezählt werden darf, schienen sich viele Fans und Kritiker etwas Anderes von dem vielversprechenden Straßenrapper erhofft zu haben.

Heute, ein gutes Jahr später, sollte auch der Letzte begriffen haben, dass dem Künstler Haftbefehl etwaige Erwartungshaltungen der Szene gepflegt am Arsch vorbeigehen. War „Kanakis“ bereits der erste Schritt in die autonome Bestimmung seiner eigenen Künstleridentität, so machte Haftbefehls erste Single mit dem programmatischen Titel „Chabos wissen wer der Babo ist“ eindrucksvoll klar, dass auch bei diesem Durchgang keine Ficks gegeben werden. Über die brachiale Instrumentierung von Farhots Produktion lässt Haftbefehl in einer noch potentierteren Variante seines „multikulturellen Sprachmischmaschs“ keinen Zweifel daran, dass es spätestens jetzt ratsam wäre ihm und seinen Azzlackz den Weg frei zu machen. Eine Ansage, der sich seitdem nicht nur aufgrund des ikonographischen Titels sondern auch wegen der qualitativ starken Folgesingles „Mann im Spiegel“ und „Generation Azzlack“ neben der klassischen Gangsta Rap-Anhängerschaft auch viele vermeintliche Hipster und rapferne Hörer bereitwillig beugten.

Als Wegbereiter zu „Blockplatin“ ist „Chabos wissen…“ als zweiter Anspielpunkt bereits früh in der 28 Songs fassenden Tracklist der Doppel-LP zu finden und setzt nach dem Intro das erste Ausrufezeichen der als aggressiver beschriebenen „Block“-Seite des Albums. Während im Intro bereits der vorab angekündigte, verstärkt vom amerikanischen Sound beeinflusste Produktionstil (Rick Ross lässt grüßen) offenkundig wird, offenbart die komplette Version von „Chabos wissen…“ neben den bekannten Hafti-Lines auch die Gastverse von Neu-Azzlack Milonair, der bereits auf dem ebenfalls auf „Blockplatin“ enthaltenen Mammut-Remix des Songs überzeugen konnte, und Farid Bang, dessen Beitrag trotz einiger unterhaltsamer Lines in diesem Kontext leider eher deplatziert wirkt.

Mit „Money Money“ und „Locker Easy“ folgen zwei Azzlackz-Posse-Tracks, die die Erwartungen für den noch für dieses Jahr angekündigten Label-Sampler in die Höhe schnellen lassen dürften. Auch wenn Capos neuer Rapstil immer noch einer gewissen Gewöhnung bedarf, Haftbefehl auf „Locker Easy“ seinen vielleicht schwächsten Part des Albums hinlegt und der Track insgesamt ein wenig zu sehr an Booba erinnert, kompensieren Veysel, Celo und insbesondere Abdi mit ihren durchweg starken Beiträgen diese kleineren Mängel spielerisch.

Auch der Rest der „Block“-Hälfte weiß zu überzeugen. „Ja Ja VeVe 2„, „Blockparty„, „Crackfurt„… Wirkliche Aussetzer sucht man, wie auf dem gesamten Album, vergebens. Während auf der „Block“-Seite eine Weiterentwicklung des klassischen Haftbefehl-Sounds dominiert, kommt die „Platin“-Seite etwas polierter, musikalischer und auf seine Weise experimenteller daher und knüpft damit logisch an einige Konzepte von „Kanakis“ an. Auch wenn die Übergänge fließend sind, liegt der inhaltliche Schwerpunkt von „Block“, grob gesprochen, darauf Kilos zu ticken, Lines zu ziehen und die Vormachtstellung im Milieu zu sichern, während „Platin“ das bisher Erreichte mal überschwänglich zelebriert, mal reflektiv in Frage stellt. Mütter, Schwestern, Töchter und Gegner werden selbstredend auf beiden Seiten „gefickt“.

Obwohl weder die Unterwelt- noch die Selfmade Man-Themen grundlegend neue Perspektiven im Rap darstellen, so schafft es Haft über die 28 Tracks des Albums immer wieder interessante und vor allem überzeugende Herangehensweisen an diese immer gleichen Gangsta Rap-Motive zu finden. Hafti liefert Hartes („Ich ficke dich„), Größenwahnsinniges („Einmal um die Welt„), Lustiges („Late Check Out„, „Zwischen Raum und Zeit„), Sozialkritisches („Traurig aber wahr„), Nachdenkliches („Mann im Spiegel„) und Biographisches („Erst der Himmel ist Limit„), ohne dass es jemals gezwungen wirkt. Das Ganze mit einer Vielzahl an Flows und Techniken, in seinem ihm eigenen Vokabular und über durch die Bank überdurchschnittliche Produktionen, die in Deutschland teilweise neue Maßstäbe setzen dürften. Vielmehr kann man von Gangsta-Rap im Jahre 2013 nicht erwarten.

Auch wenn das hier Frankfurt und nicht Hollywood ist, Brudi, hat Haftbefehl mit „Blockplatin“ einen waschechten Blockbuster hingelegt. Eine in Offenbach und Frankfurt beheimatete, von Jerry Bruckheimer und John Singleton verfilmte Neuauflage von Scarface um genau zu sein. Der schnöselige Arthouse-Fan mag mit der Nase rümpfen, aber jeder der auf kompromisslos umgesetzte Mob-Geschichten mit großem Produktions-Budget (und leichter Überlänge) steht, kommt hier voll und ganz auf seine Kosten. „Blockplatin“ ist Rap im Breitbildformat und ohne Frage der neue Status Quo im deutschen Straßenrap.