Review: Kendrick Lamar - good kid, m.A.A.d. city

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Da ist es nun, Kendrick Lamars Major-Label-Debüt „good kid, m.A.A.d. city“ steht seit Montag in den Läden. Nachdem der junge Comptoner mit dem im letzten Jahr ausschließlich digital erschienenen „Section.80“ die seit seinem Dr. Dre-Cosign exponentiell gestiegene Aufmerksamkeit mehr als rechtfertigen konnte und sich auf den Jahresbestenlisten zahlreicher Musikmagazine wiederfand, geht es für den jungen Comptoner nun darum zu zeigen, ob er bereit ist bei den ganz Großen mitzumischen und sich damit in die beeindruckende Reihe erfolgreicher Dre-Entdeckungen einzureihen. Dass es Kendrick vergönnt sein wird, mit seinem Erstling ähnlich starke Verkaufszahlen zu erzielen wie einst seine Vorgänger Snoop Dogg, Eminem, 50 Cent und The Game, ist im derzeitigen Marktklima mehr als zweifelhaft. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass Aftermath Entertainment und Interscope Records, als seine neuen Brötchengeber, großes Interesse an einem finanziellen Erfolg ihrer Investition in den jungen Künstler haben.

Dass die naheliegenden Mittel, um derartigen Erwartungen nachzukommen, zumeist im krassen Widerspruch zu dem stehen, was sich die im Untergrund kontinuierlich gewachsene Fanbase eines inhaltsstarken MCs wie Kendrick vorstellt, sollte nachzuvollziehen sein. Als nun im Frühjahr der Song „The Recipe“ als mit Dr. Dre-Feature versehene erste Single präsentiert wurde, vielen die Reaktionen beispielsweise durchwachsen aus. Auch wenn in diesem Fall nicht davon gesprochen werden kann, dass hier ein kredibiler Lyriker seinen Arsch für eine Radio-Hit verkaufte, so bemängelten einige Fans, dass der Song zu sehr nach Dre und zu wenig nach dem Kendrick Lamar klinge, den sie mit „Section.80“ lieben gelernt hatten. Kurzum wurde „The Recipe“ zum Bonus-Track degradiert und das von T-Minus produzierte und thematisch weitaus ernstere „Swimming Pools (Drank)“ zur ersten Videoauskopplung bestimmt.

Darüber hinaus fällt auf, dass obwohl Dre als Executive Producer des Albums fungierte und gemeinsam mit Kendricks langjährigem Engineer Mixed by Ali dafür sorge trug, dass sich die Soundqualität des Albums wieder einmal am oberen Ende dessen abspielt, was moderne Musikstudios derzeit zu leisten in der Lage sind, kein einziger Beat der Produzenten-Ikone auf der 12 (reguläre) Songs umfassenden Tracklist zu finden ist. Lediglich auf dem von Just Blaze episch in Szene gesetzten „Compton„, welches also Outro von „good kid, m.A.A.d city“ fungiert, ist der Doktor mit einem Gastvers zu hören.

Wie Kendrick nun in einem Interview verriet, handelt es sich bei dem Song um eine Aufnahme, die bei seinem allerersten Besuch in Dres Studio entstand und nach der sich der Legende nach sein Leben zum Besseren wandte. In den 11 Songs die „Compton“ vorausgehen beschreibt K.Dot mit all seiner lyrischen Finesse und geschärfter Songwritingexpertise seine Jugend in eben jenem historisch mit Armut, Gewalt und Gang-Kriminalität in Verbindung gebrachten Vororts von Los Angeles. Wie der Titel „good kid, m.A.A.d. city“ bereits suggeriert, zeichnet der 25-jährige MC das Selbstportrait eines sensiblen, formbaren Geistes dessen scheinbar ausweglose Umgebung ihn beinahe in den allgegenwärtigen Sumpf aus Kriminalität und Drogenmissbrauch abrutschen ließ. Kendrick rappt über jugendliche Lust und Liebe, die unter der Aufteilung Comptons in Gang-Terretorien leidet, ein familiäres Umfeld, das Opfer von Gewalttaten und Alkoholismus wurde und wie der Einfluss seines Freundeskreises ihn dazu verleitete, selbst mit Drogen zu experimentieren und Raubüberfälle zu begehen.

Dabei wechselt er mühelos zwischen der aufgeklärten Erzählperspektive seines heutigen Ichs und einer 16-jährigen Version seiner selbst, die wie auf „The Art Of Peer Pressure“ des Nächtens durch die Straßen cruist, Gangsigns in die Luft wirft, trinkt, Gras raucht und Einbrüche begeht. Dennoch wird hier weder glorifiziert noch moralisiert. Kendrick reflektiert hier auf ebenso spannende wie technisch und stilistisch brillante Art und Weise über seine Geschichte, überlässt es aber dem Zuhörer seine eigene Schlüsse daraus zu ziehen.

Obwohl 13(!) verschiedene Produzenten an der Entstehung von „good kid, m.A.A.d. city“ beteiligt waren, ist das Soundbild des Albums ebenso kohärent wie Kendricks textliche Performance. Beats von Pharrell, Hit-Boy, Tha Bizness und Scoop Deville fügen sich ebenso schlüssig in das Gesamtkonzept des Albums ein, wie die Produktionen der Newcomer Tabu, DJ Dahi und Skhy Hutch. Ausfälle gibt es keine. Mit der Beteiligung an der Produktion drei der wichtigsten Songs des Albums („Bitch Don’t Kill My Vibe„, „m.A.A.d. city„, „Sing About Me / I’m Dying Of Thirst„) übernimmt allerdings mit Sounwave (wie schon auf „Section.80„) einer von Top Dawg Entertainments Hausproduzent die zentralste Position in der musikalischen Ausarbeitung des Projekts.

good kid, m.A.A.d. city“ kann wohl mit Fug und Recht als Konzept-Album beschrieben werden. Skits und Voicemail-Aufnahmen von Kendricks Eltern verbinden die Tracks miteinander oder tauchen sogar mitten in Songs auf. „Sing About Me / I’m Dying Of Thirst“ hat eine Spielzeit von über zwölf Minuten und einige der vorab geleakten Tracks wie beispielsweise der „Backseat Freestyle“ entfalten eigentlich erst im Kontext des Albums ihre volle Qualität. Dementsprechend sorgsam wurden auch die Kollaborationen des Albums ausgewählt. So unterstützt Fürsprecher Drake Kendrick Lamar auf dem von einem Janet Jackson-Sample getragenen Track „Poetic Justice„, während Kendricks Mentor Jay Rock auf „Money Trees“ seine Perspektive des Ghetto-Lifestyles beisteuert – beides absolute Single-Kandidaten. Auf dem angesprochenen „m.A.A.d city“ schlägt Kendrick mit einem Feature der Compton-Legende MC Eiht dann den Bogen zu der Zeit seiner Jugend und mit „Compton“ endet das Album mit einer Zusammenarbeit mit dem Mann, der dafür sorgte, dass K.Dot nun seine Geschichte auf der ganz großen Bühne präsentieren darf.

Kendrick Lamar hat mit „good kid, m.A.A.d. city“ ein starkes Debüt vorgelegt, dass sich, anders als heute üblich, nicht als eine Compilation potentieller Singles ver-, sondern als Gesamtkunstwerk für sich steht. Das Album überzeugt mit seiner inhaltlichen Dichte und meisterlichen Umsetzung. Ein Top-Anwärter für den Platz als bester Rap-Release des Jahres. Ob es sich hier auch um einen waschechten Klassiker handelt, wird die Zeit zeigen. Das Potential dazu hat das Album. Und mit Prognosen von 220.000-240.000 verkauften Exemplaren in der ersten Woche ist „good kid, m.A.A.d. city“ auch auf einem guten Weg Interscopes Chefetage zufrieden zu stellen.