Von Messerstechern zu Moralaposteln ? Der Wandel des Straßenraps (Teil II)

Heute fahre ich an dem Punkt fort, an dem letzte Woche der erste Teil dieser Reihe geendet hat. Es ging um das – von Jan Mehlhose 2000 gegründete – Label Subword, welches als Sublabel bei Sony BMG für HipHop fungierte. Mittlerweile existiert das Label nicht mehr und ist in das Rocklabel Gun Records / Sony BMG eingegliedert worden. Subword beheimatete Künstler, wie Kool Savas, Eko Fresh, Curse, Raptile, Italo Reno & Germany oder zeitweise auch Jonesmann.

2005 ? das war 2 Jahre nach dem Weggang Eko Fresh?s von Optik Records ? veröffentlichte Eko Fresh bekanntlich seine Videosingle ?Die Abrechnung?, um sich nach seinen von ?HipHop-Heads? verschrienen Projekten ?Ich bin jung und brauche das Geld? (2003) und ?L.O.V.E? (2004) den, in seinen Augen, verdienten Respekt von der Community zurückzuholen. ?Die Abrechnung? war der erste große ?Diss-Rundumschlag? eines Künstlers in Deutschlands. In den Augen von HipHop-Deutschland hat sich Eko in den letzten Jahren ohne Kool Savas zu einem Bravo-Künstler und Popact entwickelt, woraufhin es mehrfach verbale Attacken anderer HipHop-Künstler gegeben hat.

Wobei ich finde, dass die Single ?König von Deutschland? (2003), die noch an der Seite von Kool Savas entstanden ist, bereits eine ähnliche mainstreamige und poppige Richtung eingeschlagen hat. Warum sonst waren Kool Savas und Eko Fresh mit dieser Single gemeinsam bei Tabaluga TV zu Gast? Ehrlich gesagt, habe ich die ganze Aufregung damals nicht so recht verstanden.

Zurück zu ?Die Abrechnung?. Denn nach dessen Veröffentlichung meldete sich prompt auch der ehemalige Mentor Eko?s, Kool Savas, brachial mit der Videosingle ?Das Urteil? an seinen ehemaligen Schützling. Für viele war die Sache danach klar: Kool Savas hat ?gewonnen? und Eko wird nie wieder auf die Beine kommen. Und Subword hat einen bis dato eigentlich erfolgreichen Künstler, namentlich Eko, einfach so verheizt. Eine Plattenfirma hat auch eine Verpflichtung gegenüber seinen Künstlern. Oder war dieses Battle etwa als zusätzliche Promo für das wenig später erschienene Album ?One? von Kool Savas & Azad notwendig?

Insgesamt war es doch eine aufregende Zeit damals. HipHop war spätestens nach dem Überraschungserfolg von Sido?s Album ?Maske? ein Jahr zu vor wieder in aller Munde. Doch auch damals war die heute viel zitierte Gewalt im deutschen HipHop allgegenwärtig. Wer erinnert sich nicht daran, als auf dem MTV HipHop Open 2004 Sido auf der Bühne Azad?s Mutter beleidigt hat und nach dem Auftritt Sido eine Lektion erteilt wurde. Für beide Seite eine nicht notwendige Aktion. Aber wir wissen auch: Aggro hat damals ja schon gerne Regeln gebrochen. Da aus verbaler Gewalt, auch physische Gewalt wurde, hat sich HipHop in der öffentlichen Wahrnehmung dem Begriff Gewalt weiter angenähert.

Doch bereits damals begannen erste Versuche, Sachlagen zu relativieren. Die Werbekampagne zu Fler?s Debütalbum ?Neue Deutsche Welle? (2005) schlug derartig hohe ?Wellen?, dass in der Öffentlichkeit regelrecht nach einem Verbot von HipHop geschrien wurde. Aggro Berlin rief daraufhin eine Pressekonferenz ein, wo sie sich selbstbewusst gegenüber ihrem Produkt präsentierten. Doch die Sache war in der heimischen Presse bereits in trockenen Tüchern: ?Fler ist ein Nazi?.

Zu dieser Zeit wurde schon versucht, Straßenrap als Spiegel der Gesellschaft zu nutzen und dadurch in einer gewissen Form den Zeigefinger zu heben. Trotzdem wurden weiterhin Nutten gebumst, Koks gezogen und Messer ?geclappt? ? Diese Schizophrenität hat bereits damals niemand übersehen. Aber es ging ja primär darum Geld zu machen und wieder medienwirksam 100.000 Einheiten zu verkaufen. Dies hat im Fall von Aggro Berlin insgesamt 4 mal auch geklappt.

Damals arbeitete parallel der heute erfolgreichste Rapper Deutschlands, mehrfacher Millionär und als Immobilienmakler tätiger Ex-Aggroberliner Anis Mohamed Youssef Ferchichi alias Bushido still und heimlich an einem Aufstieg sondergleichen. Bushido hatte nie, wie Sido, den Durchbruch. Er ist mit der Zeit gewachsen, erfolgreicher geworden und hat Schritt für Schritt seine eigene Plattenfirma Ersguterjunge weiter ausgebaut. In Talkrunden oder diversen Boulevard-Formaten ist Bushido heute ein gern gesehener Gast.

Spätestens nach seinem zweiwöchigen Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt bei unseren Nachbarn aus den Alpen hat er das Image des ?Rüppelrappers? inne. Nichtsdestotrotz wird er immer wieder gerne dazu befragt, wie die Jugend ?funktioniere?. In den Augen der Presse ist er momentan das Teenieidol Nummer Eins.

Doch um überhaupt heute dort zu sein, wo er ist, musste Bushido nach seiner Freilassung eine einstündige Beichte bei damals sehr beliegten MTV-Mitmach-Format TRL ablegen. Dort entschuldigte er sich im Endeffekt für alles, was er je gesagt oder getan hat. Aus dem harten Straßenrapper und ehemaligen Dealer, der in Interviews zum besten gibt, dass er Frauen bereits geschlagen hat, wurde nach und nach der auf Bravo-Starschnitten verewigte Straßenrapper mit harter Schale und weichem Kern.

Dies untermauerten natürlich auch die Single-Auskopplungen, wie ?Hoffnung stirbt zuletzt? (2004; feat. Cassandra Stehen) und ?Augenblick? (2005). Ohne diese leichte Wandlung hätte er wahrscheinlich bis heute nicht überlebt und würde mit Sicherheit keinen Film mit Bernd Eichinger und dessen Firma Constantin Film (u.a. verantwortlich für Die Welle und Baader-Meinhoff-Komplex) drehen.

Jetzt zu Sido, der nun, nach der Schließung von Aggro Berlin, bei der ehemaligen Plattenfirma von Bushido, Universal Music, unter Vertrag steht. Er musste sich mit der Zeit, abgesehen vom älter werden, seinen alten Imageattributen nach und nach entledigen. Mit Erfolg: Er ist musikwirtschaftlich interessant und relevant geblieben. Und letztes Jahr suchte er neben Detlef D. Soost und Loona als drittes Jurymitglied die Popstars 2008. Hinzukommt, das er mit seinem letzten Album ?Ich und meine Maske? sogar auf die Pole-Position der deutschen Alben-Charts einstieg und sich zum ersten Mal Gold aus den deutschsprachigen Nachbarländern an die Wand hängen darf. Genauso, wie Bushido, dreht auch Sido momentan einen Film mit ihm in der Hauptrolle.

Oftmals wird dies als Verlust der Authentizität gewertet. Doch als Künstler muss man auch auf der Höhe der Zeit bleiben und sich immer wieder wandeln.

Bestes Beispiel ist Madonna, die Imagewechsel sondergleichen hingelegt hat. Was ist aus allen anderen Rappern geworden, die sich heute immer noch, wie vor 4 Jahren präsentieren? Im Endeffekt nichts Großes. Will man sein ganzes Leben im Supermarkt an der Kasse arbeiten, um ?real? zu bleiben, oder will man im Leben auch mehr erreichen? Bisher war es Problem bei Bands oder Künstler, die immer erfolgreicher wurden, dass sich alte Fans abwandten und andere ihren Idolen zujubelten ? Sei es im Rock, im Pop oder eben auch im HipHop. Im Fall der Straßenrapper nahm dies in den letzten Jahre teils groteske Züge an, einmal gelang es mehr und mal weniger. Hier kann ich auf den ersten Teil verweisen, Massiv und seinem mit dem Album ?Meine Zeit? einhergegangenen Imagewandels.

Fler beklagte sich in einem Interview mit Mixery Raw Deluxe, dass Aggro Berlin für sein aktuelles Album ?Fler? gerne wieder etwas ?abgezogen? hätte, um die Abverkäufe zu steigern. Fler und Neffi von Universal hingegen waren der Meinung, dass sich bei diesem Album der Erfolg auch ohne eine provokante Werbekampagne einstellen könne. Am Ende stieg das Album auf Platz 10 in den Albumcharts ein. Eigentlich auch kein Wunder, das sich Fler über provokante Werbekampagnen moniert, denn Aggro Berlin hat die Jahre zuvor bereits ein zu eindeutiges und einseitiges Bild von Fler in Öffentlichkeit zeichnen lassen. Mit diesem war er eben nun sehr unzufrieden und wollte lieber die Musik sprechen lassen.

Anders als Aggro Berlin und Bushido erkannte der mittlerweile alleinige Geschäftsführer von Selfmade Records, Elvir Omerbegovic, frühzeitig, die Segel seines Künstlers Kollegah neu zu setzen und somit Kurs auf die Zukunft zu nehmen. Früher erzählte Kollegah in einem seiner ersten Interviews mit Selcuk Erdogan von WordCup noch, dass er wirklich ein paar Frauen für sich ?laufen? ließ. Kaum ein paar Jahre und beachtliche Charterfolge später ist davon nicht mehr die Rede. Kollegah relativiert sein immer noch existierendes Image eines Zuhälters und verdeutlicht mehr und mehr, dass alles ja nicht so ernst zu nehmen sei und es sich um Entertainment handeln würde. Er fügt auch gerne hinzu, dass die Kunstfigur Kollegah nicht allzu viel mit der Privatperson Felix Antoine Blume gemein hätte. Kollegah sieht sich nicht in der Position und Verantwortung, Kinder und Jugendliche vor nicht Altersgemäßen Material zu schützen und sieht die Eltern in der Pflicht. Mittlerweile ist nach der Schließung des bereits angesprochenen Labels Subword der damalige Geschäftsführer Jan Mehlhose bei Selfmade Records Teilhaber. [?]

Fortsetzung folgt am Montag, den 13.07.2009, hier an gewohnter Stelle, auf 16bars.de

Euer Dominik Graef