Rückblick: "ARTE Tracks" über sido, Bushido & Aggro Berlin

Während sido und Bushido heutzutage immens erfolgreiche und erfahrene Künstler darstellen, gehörten die Beiden sowie ihre damaligen Kollegen von Aggro Berlin im Jahr 2003 noch zu aufstrebenden Newcomern. Das ARTE Musikformat Tracks beschäftige sich mit dem damals gerade erst aufkommenden Phänomen Aggro Berlin und strahlte am 17. Oktober 2003 eine Dokumentation über das Berliner Independent Label und dessen Künstler aus.

Die knapp 7 minütige Reportage fängt auf interessante Weise den damaligen Status Quo in Rap-Deutschland ein: während Street-und Gangstarap inzwischen anerkannte Stilrichtungen darstellen, sorgten die expliziten Texte aus dem Hause Aggro Berlin über Drogen, Sex & Gewalt anno 2003 noch für viele offene Münder und unterschieden sich deutlich vom bislang dominierenden Gute Laune- und Mittelstandsrap. Die Doku versucht dabei zunächst ein wenig ungelenk die damals populären Rap Feindbilder der neuen „harten“ Rapper zu skizzieren: so werden Massive Töne, Eko Fresh (der laut ARTE „keine Skrupel hat sich als neuer Weichspüler zu empfehlen“) sowie DJ Tomekk und sein „Schmalzbacken Hip Hop“ als Mainstream Rapper aufgezählt.

„Damit treffen sie mitten ins Herz der seichten Popmaschine“

Weiterhin stellt der TV Bericht die damals noch recht unbekannten Künstler des Labels vor und konzentriert sich dabei sido und seine Kollegen zu Wort kommen zu lassen. Historisch steigt die Doku in eine Zeit ein, in der Aggro Berlin gerade dabei war rasch seinen Bekanntheitsgrad zu erweitern: So war Bushido mit „Vom Bordstein bis zur Skyline“ im Sommer 2003 auf Platz 88 der deutschen Albencharts eingestiegen, was einen ersten Achtungserfolg darstellte. Auch zeigen Aufnahmen vom vielumjubelten Auftritt des Labels beim splash! 2003 , dass die Rapfans verstärkt auf den harten Rap aus Berlin aufmerksam wurden. Noch allerdings gab es keinen weichenstellenden „Ansage Nr. 3“ Sampler, keinen „Weihnachtssong“, der bei VIVA/MTV rauf und runter lief und keinen Top 3 Einstieg in die Charts mit dem „Maske“ Album.

Dementsprechend sieht man in der Doku einen hungrigen und motivierten sido, der sich über die ihm zugeteilte Aufmerksamkeit sichtlich freut und bei dem Albumaufnahmen zu seinem späteren Debut „Maske“ zu sehen ist. Zwar rappt sido in dem Ausschnitt zu seinem späteren Titeltrack „Maske“ bereits über sein späteres Markenzeichen, in dem Interview sieht man ihn jedoch noch ohne die berühmte Maskierung. sidos Ausführungen zu sexistischen Texten und sein „galanter“ Schwenk in Richtung Frauen mit harten Nippeln zeigen, dass auch ein heutiger Kamera-Vollprofi wie sido sich vor einigen Jahren noch recht unsicher bzw. unbedarft äußerte. Auch der „eitle Bürgerschreck“ Bushido kommt als damaliges Zugpferd des Labels zu Wort und spricht ein wenig ungeschliffen über seine Musik und die Reaktionen der alteingesessenen Hip Hop Garden.

Zusätzlich zu den Gesprächen mit den Rappern liefert die Doku auch einen Einblick in das damalige Aggro Berlin Büro. Dabei erkennnt man noch einmal mit welch relativ einfachen Mitteln man bei dem Label die Ǔbernahme des Rapmarktes plante. In dem ehemaligen Bordell Räumlichkeiten spielten keine jungen Praktikanten an ihren neuen Mac Books herum. Vielmehr sieht man den damaligen Labelchef Specter vor zwei eher rustikalen PC Monitoren sitzen und über die Zukunft des deutschen Raps philosophieren. Seine erwähnten Zielsetzungen für Aggro Berlin auch stellen 13 Jahre später eine durchaus visionäre Ansage dar.

Insgesamt handelt es sich bei dem ARTE Bericht in weiten Teilen um ein für damalige Verhältnisse erstaunlich neutrales Portrait des aufkeimenden Gangstaraps. Anstatt vorschnelle Wertungen in Richtung Aggro Berlin & Straßenrap abzugeben, (man denke an vergleichbare Berichte wie z.B. den furchtbar klischeebeladenen Spiegel TV Bericht über Deutschrap auf dem Index) nimmt die Reportage mehr eine beobachtende Position ein und stellt dank des sachlichen Charakters definitiv ein interessantes Zeitdokument dar.