„Evolution wird mit ‚R‘ geschrieben“- Marterias Glück in der Zukunft

Marteria ist aus der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken: Mit „Lila Wolken“ zementierte der Rostocker ein für alle mal seinen Stellenwert als nationaler Künstler.
Nun steht die Veröffentlichung der neuen LP „Zum Glück in die Zukunft II“ kurz bevor- und die hingerissene Hörerschaft erwartet nichts Geringeres als einen kleinen Klassiker.
Marteria hat das Glück und die Bürde inzwischen einen Erwartungshorizont zu beanspruchen, dessen Grenzen er bisher immer wieder neu abgesteckt hat. Kurz vor dem Verkaufsstart spulen wir die Zeit zurück zum Vorgänger „Zum Glück in die Zukunft“, der nicht nur Marteria den Weg in das Glück der Zukunft ebnete.

Wir schreiben das Jahr 2010: MTV ist noch ein kostenloser TV-Sender, Die Fantastischen Vier schaffen es als einziger Deutschrapact unter die erfolgreichsten Alben des Jahres und The Krauts machten sich im Vorjahr mit der Produktion von Peter Fox‘ „Stadtaffe“ einen szeneübergreifenden Namen. Eine Müdigkeit hat sich hierzulande im Hip Hop breitgemacht: Die Begeisterung verteilt sich spärlich auf die Releases einiger weniger wie Haftbefehl, Kollegah, Maeckes und vor allem sido mit seinem MTV Unplugged, der seinen öffentlichen Ritterschlag darstellt. Aus Frust über den unbelebten deutschen Rap bringt ebendieser seine Unzufriedenheit sogar in dem Freetrack „2010“ zu Papier:

Und Marteria? Der blieb 2010 laut sido hinter den Erwartungen zurück. Dabei hatte er wohl die Langzeitfolgen von „Zum Glück in die Zukunft“ nicht im Blick. Aber auch ohne den Weitblick ließ sich unmittelbar feststellen, dass die 12 Tracks des Albums eine eigene Soundästhetik kreierten, die bis heute unverwechselbar für den Namen Marteria steht. Gebettet auf hochkarätigen Beats der Krauts, ließ der Berliner ein Zusammenspiel zwischen seiner charismatischen Stimme, der ruhigen Vortragsweise, sowie den intelligenten und scharfzüngigen Zeilen entstehen. Rap, Dubstep, Grime, athmosphärische Synthies und die Berliner Philharmoniker auf einer Platte- das war vor 4 Jahren mit Abstand eine der futuristischsten Kompositionen im Deutschrap.

Obwohl “Verstrahlt” bei weitem nicht Marterias erstes Video ist und „Zum Glück in die Zukunft“ auch nicht das Debütalbum des damals 27-Jährigen darstellt (von den Marsi-Produktionen ganz abgesehen), brachte das Video frischen Wind in die damals eher unsexy gehaltene Videolandschaft der Szene. Anders ausgedrückt: Lange vor dem derzeitigen Körperkult rückte ein Mann allein mit seinem Aussehen, Talent und kunstvoller visueller Inszenierung sein Gesamtprodukt in ein attraktives Licht. An letzterem sicher nicht ganz unbeteiligt ist wohl Paul Ripke, seines Zeichens bester Freund und Hausfotograf, der auch für folgendes Werk aus der Kurzfilmkunst verantwortlich ist:

Auch die Massenmedien witterten irgendwann, dass sich ein näheres Hinsehen bei Marten Laciny durchaus lohnt: Von Interesse war dabei weniger die Musik, als vielmehr Martens bewegte Vergangenheit zwischen Profikarriere im Fußball, Modeln in New York und Schauspielstudium. Dabei erzählt doch auch die Entstehung von „Zum Glück in die Zukunft“ ihre eigene Geschichte: Zweieinhalb Jahre dauerte die Arbeit am Album, die den Vorschuss des Labels ab einem bestimmten Punkt überschritt. Zu Marterias Glück sprangen die Krauts für die weiteren Kosten ein und verbarrikadierten sich sogar in der intensiven Produktionsphase zwei Wochen gemeinsam mit ihm in Dänemark.
Während den Kennern der frühen Alben „Halloziehnation“ und „Zu zweit allein“ ein abgespaceter, anarchischer Marsimoto begegnete, und das Marteria-Debüt „Base Ventura“ eher überschaubare Resonanzen verbuchte, wies „ZGIDZ“ ein geschlossenes Konzept und eine stimmige Anordung auf. Zwar war Materia zu diesem Zeitpunkt schon lange kein Neuling mehr, doch erst mit diesem Album gelang es ihm, seinen Platz in der Szene zu definieren. Für viele erschien die LP daher wie aus dem Nichts und das auch noch mit dieser Featurebrigade aus Jan Delay, Peter Fox, Casper und Miss Platnum. Zum Vergleich: Als er 2009 mit „Zum König geboren“ beim BuViSoCo antritt, wird er gerade mal unter die letzten 5 gewählt, weil sich kaum jemand für diesen HipHopper zu interessieren scheint.

„Zum König geboren“ befindet sich als einer von drei Bonus-Tracks auf „Zum Glück in die Zukunft“, welches zu einer Zeit auf Platz 7 der Deutschen Charts landete, als sich Hip Hop eher mau verkaufen ließ. Insgesamt hielt es sich sieben Wochen in den Albumcharts und konnte mit „Verstrahlt“ und „Sekundenschlaf“ zwei Singles in den Top 100 platzieren. Das Album wurde 2010 nicht nur des 〓fteren mit dem Prädikat „seiner Zeit voraus“ umschrieben, sondern von Jan Delay gar als das beste deutschsprachige HipHop-Album der letzten Jahre bezeichnet. Allerdings dauerte es ganze drei Jahre, bis „ZGIDZ“ 2013 mit Gold ausgezeichet wurde. Zur heutigen Zeit kaum mehr vorstellbar. Es folgte das Erfolgsprojekt „Grüner Samt“ seines Alter Egos Marsimoto und natürlich die Platin EP „Lila Wolken“ zusammen mit Yasha und Miss Platnum.

Gemeinsam mit Casper darf sich Marteria auf die Fahne schreiben, die Grenzen der Szene auf Albumlänge erfolgreich neu angeordnet zu haben. Die beiden werden heute in einem Atemzug genannt, wenn es darum geht, die „neue 〞ra“, in der wir uns gerade befinden, ins Rollen gebracht zu haben. Der herrschende Szenekonsenz wurde insofern freigelegt, als dass die neuen Stilbrüche auf einen Resonanzkörper innerhalb und außerhalb der Raphörerschaft stießen, der dank des frischen Windes (wieder) eine allgemeine Lust auf deutschen Hip Hop verbreitete. Von dieser offenen Mentalität profitierte nicht nur die bestehende Szene im verkaufsfördernden Sinne, auch wurde der Weg frei für weitere neue Künstler, die sich in einer bestimmten 〞sthetik außerhalb des bisher bestehenden Spektrums einreihten wie Cro, Kraftklub, Chefket, Muso, OK Kid, Weekend, Gerard, Ahzumjot oder Alligatoah.

„Zum Glück in die Zukunft“ rannte seiner Zeit offene Türen ein und öffnete neue Türen, in dem es sich vom vorherrschenden Sound der damaligen Zeit abhob.
Vor Veröffentlichung von „ZGIDZ“ war Marteria noch ein absoluter Geheimtipp. Jetzt, vier Jahre und einige Schlagzeilen und Fernreisen später, kann man ihn kurz vor dem Release des Nachfolgers getrost als sicheren Anwärter auf die Pole Position bezeichnen. Interessant bleibt nur zu sehen, wie weit der Radius von „Zum Glück in die Zukunft II“ reicht und wohin das vergönnte Glück den Künstler Marteria in Zukunft führen wird.

Das aktuelle „Track by Trek“ Konzept , sowie die Auskopplungen „Bengalische Tiger“, „Kids“ und „OMG!“ geben jedenfalls eine ziemlich genaue Vorstellung dessen vor, wohin die akustische Reise ab Freitag gehen wird.