Jahres-ABC 2013: der alphabetische Jahresrückblick #1

Nachdem bereits 2012 als zweiter Frühling für deutschen HipHop gefeiert wurde, schrieb das vergangene Jahr die Erfolgsgeschichte der hiesigen Szene konsequent weiter. Mit dem näherrückenden Jahresende wird es Zeit auf zwölf der ereignisreichsten Monate in der deutschen Rapgeschichte zurückzublicken und einige der auffälligsten Entwicklungen und Sachverhalte hervorzuheben. Wir haben 26 der bemerkenswertesten und unterhaltsamsten Themen des Jahres ausgewählt und präsentieren sie euch in unserem „Jahres-ABC“ in alphabetischer Reihenfolge.

Im ersten Teil beschäftigen wir uns mit den Buchstaben A-M. Teil 2 findet ihr hier!

Alligatoah kann wohl ohne Zweifel als DER Deutschrap Durchstarter des Jahres 2013 bezeichnet werden. Zwar macht der Rapper mit dem Gespür für griffige Melodien bereits seit einigen Jahren die Deutschraplandschaft mit seinen originellen Songkonzepten unsicher und trat u.a. als imaginäres Duo Kaliba 69 und DJ Deagle in Erscheinung, doch erst in diesem Jahr gelang dem Trailerpark Mitglied auch der endgültige kommerzielle Durchbruch. Das im Vergleich zum früheren Alligatoah Werk poplastigere Album „Triebwerke“ erklomm ohne größere Mühen die Nummer 1 der deutschen Albencharts, die einzelnen Albensongs belagerten über Wochen hinweg die Spotify Hitlist und mit dem Ohrwurm „Willst Du“ lieferte Alligatoah zudem einen der größten Deutschrap Hits des Jahres ab. Selbst die Mainstream Medien von RTL 2 bis Spiegel Online konnten sich auf den kreativen Chartstürmer aus der niedersächsischen Provinz einigen, der innerhalb eines halben Jahres den Sprung vom talentierten Geheimtipp zum Eins Live Krone Nominierten und Rock am Ring 2014 Act vollzogen hat. Ein in seinen enormen Ausmaßen etwas überraschender, aber vollkommen verdienter Erfolg eines Musikers, der sich über Jahre hinweg eine stetig anwachsende Fanbase erspielt hat und in diesem Jahr die Lorbeeren für seine Arbeit ernten durfte.

„Chabos wissen wer der Babo ist“ läutete Ende 2012 nicht nur eine neue Etappe in der gesellschaftlichen Wahrnehmung des Deutschraps ein. Nein, es sollte auch in seiner Relevanz das gesamte nächste Jahr nichts an Aktualität verlieren und einen eigenen Wikipedia-Eintrag füllen. Haftbefehl hat mit seinem Baby eine Welle von Nachahmungen losgetreten und sich in den Fokus aller Gesellschafsschichten geschlichen. Der allgemeinen Faszination an seinen unbekannten Wortverbindungen hat das bis heute keinen Abbruch getan- im Gegenteil: Dank aller Coverversionen, TV- und Presseberichten und der Wahl zum Jugendwort des Jahres, geht Hafti Abis ideenreicher Sprachgebrauch direkt in den lebendigen Fundus unserer Rhetorik in Form des Platzhalters „Babo“ über.

Nach dem jahrelangen #dailygrind und der #hardwork #dedication der letzten Monate, ließen sich die hedonistischeren Teile unserer Kerntruppe auf der Sonnenseite des Lebens nieder. Während man es in den letzten Jahren eher sachte mit „Louis, Gucci, Dior, Prada“ hielt, wurde dieses Jahr auf die Kacke gehauen: Fler deckt sich in der Bronx mit neuem Glitzer Glitzer ein, Alben tragen Titel wie „Rich Kidz“ oder „Hallo Monaco“, Nazar kriegt von billigem Schmuck Juckreiz, Kay One chillt mit Prinz Marcus von Anhalt und der Aristokrat Kollegah spricht zum Volk.

Im Juni landete Genetikks zweites von Selfmade Records vertriebenes Album „D.N.A.“ direkt auf der 1 und meißelte den diesjährigen Siegeszug der zwei Saarländer in Stein. Ohne sich in die gegenwärtig vorherrschende Soundästhetik des Mainstreams einzugliedern, wurde das Werk vom weltweit größten Musik-Verkäufer Apple über itunes offiziell zum Album des Jahres gekürt. Bewegte sich der Vorgänger „Voodoozirkus“ trotz überwiegender Zustimmung aus der Rapwelt noch weitestgehend an den Massenmedien vorbei, nickten bei „D.N.A.“ so ziemlich alle Musikliebhaber zustimmend mit den Köpfen: Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Szene herrscht Einstimmigkeit über den Sprung, zu dem Karuzo und Sikk mit ihrer frischen Platte ansetzten. Für die breite Allgemeinheit kam der durschlagende Erfolg von „D.N.A.“ quasi aus dem Nichts und führte zu wachsendem Interesse an den ominösen Figuren an der Chartspitze. Was auch hier folgte, ist die Erkenntnis, dass die Maskerade nicht als Kalkül zum Zuge kommt, sondern als Teil einer ästhetischen Symbiose zwischen dem homogenen Sound und ihrer kreierten Bilderwelt.
Nicht zuletzt spiegelt sich in den überwältigenden Resonanzen des Live-Publikums der kulturelle Mehrwert wider, den die futuristischen Beschwörer der Golden 〞ra durch ihr Schaffen in die Szene eingebracht haben.

Wie bei keinem anderen Deutschrapper, assoziiert man die Rapkarriere des Ekrem Bora mit zahlreichen Höhen und Tiefen. Wohl jeder Rapfan wird den German Dreamer schon einmal abgeschrieben haben, sei es nach dem „Urteil“ von Kool Savas oder dem kreativen wie kommerziellen Misserfolg von „Ekaveli“. Eko Fresh ließ sich jedoch trotz der vielen Karriererückschläge nie ganz unterkriegen und konnte dank seiner Hartnäckigkeit und zahlreicher Releases langsam aber sicher die Sympathien und den Respekt der Hörer und Kollegen zurückgewinnen. In diesem Jahr, knapp zehn Jahre nach seinem Debutalbum „Ich bin jung und brauche das Geld“ wurde der emsige Eko Fresh für seinen neuen Longplayer „Eksodus“ dann tatsächlich mit der ersten Nummer 1 seiner Karriere belohnt. Noch vor 3-4 Jahren hätte wohl niemand auf den Rapquiz Champion gewettet, doch Eko hat bewiesen, dass sich harte Arbeit und ein langer Atem am Ende auszahlen können.

Wo wir gerade beim Thema „langer Atem“ sind: Wer hätte 2010 gedacht, dass man 3 Jahre nach Release von „Dreh den Swag auf“ immer noch über Money Boy spricht. Mit einer Mischung aus grenzdebilen Wahnsinn, kalkulierter Agitation und unbestreitbarem Arbeitseifer hat es euer Boy Money Boy aka Pinapple The Fruit Dude aka Flirt ein weiteres Jahr geschafft, die Rapwelt abseits jeglicher Qualitätsansprüche in Atem zu halten. Highlights wie die diversen Hoodreports, der Rap-Beef mit DCVDNS und Edgar Wasser (aus dem auch der obige Anwärter auf das Wort des Jahres stammt), das Video zu seiner Schmusehymne „Rummelplatz“ sowie seine mannigfaltigen Schandtaten auf Twitter riefen bei Rappern und Fans auch in 2013 wahlweise ungläubiges Staunen, humoristische Ekstase oder scheinbar unkontrollierbare Hassanfälle hervor. Wie auch immer man zu den ebenso absurden wie umfassenden Social Media-Gebärden des Chicken Man aus Wien steht, verging doch kaum ein Monat in dem „der Boy, der am Block chillt“, kein Gesprächsthema war. Scurr!

„Ist das ein Glockenbeat? Ist das ein scheiß verfickter, billiger Glockenbeat?“ So brachte SSIO auf seinem Track „Illegal, Legal, Egal…“ seine Frustration mit der eindimensionalen Beatauswahl hiesiger Straßenrapper zum Ausdruck und lieferte mit dem dazugehörigen Album „BB.U.M.SS.N.“ den musikalischen Gegenentwurf. Anstelle von düsteren Synthies, Keyboard-Drums und melodramatischen Piano- bzw. eben Glocken-Samples gab es auf SSI-bi-Os erstem offiziellen Album äußerst hochwertige Interpretationen der 90er Jahre Westcoast- und New Jack Swing-Soundästhetik auf die Ohren. Zusammen mit seinem einzigartigen Humor, seiner stabilen Reimtechnik und authentischen Milieubeschreibungen schaffte es der Bonner „Kanalreiniger“ damit auf Anhieb, seine eigene Nische im deutschen Straßenrap zu etablieren und (spät-)pubertäre Scherzkekse, Tysonschnitt-tragende Haschticker und Fanatiker retrofuturistischer Beatkunst gleichermaßen zu begeistern.

Casper hat nachgelegt. Nach „XOXO“ musste etwas folgen, das die neugewonnene Fanbase an der Stelle abholt, wo man sie 2011 hingebracht hatte. Obwohl er mit „Halbe Mille“ 2012 einen straighten Raptrack überdurchschnittlicher Qualität ins Netz stellte und damit alle Blicke auf sich zog, sollte das neue Album doch ganz anders klingen. Casper entschied sich nach der Schwermut des „XOXO“ für ein Paket, das ihm als Rampensau bei künftigen Live-Auftritten gerecht wird. „Hinterland“ ist der neue musikalische Rundumschlag eines der begabtesten Rapper des Landes, der mal wieder sein eigenes Ding macht und dafür legitimerweise seine Lorbeeren ernten darf.
Trotz des Drucks, der auf ihm lastete und seine berüchtigten Schreibblockaden hervorrief, sichert ihm „Hinterland“ allemal den Erfolg des Vorgängers.
Um es kurz zu machen, bedienen wir uns seinen Worten aus „Jambalaya“: Halleluja, guck er kann es!

„Indie is the new Major.“ Noch nie kam dieser Satz so nah an die Realität des Deutschraps, wie dieses Jahr. Chimperator, Freunde von Niemand, Maskulin, Selfmade Records, Azzlackz, Wolfpack Entertainment, Banger Musik, Trailerpark und Ersguterjunge, wenn man so will- sie alle haben dieses Jahr mindestens ein Produkt in den Top Ten der deutschen Albumcharts platzieren können. Hinzu kommt RAF Camoras neugegründetes Label Indipendenza, über das er das RAF 3.0 Nummer 1 Album „Hoch2“ veröffentlichte und weitere Eisen gerade ins Feuer legt. Die Halunkenbande konnte ein Release auf der 11 platzieren. Für einen Newcomer stellt sich derzeit die Frage zwischen Independent und Major gar nicht mehr. Dank der kostengünstigsten und autarken Verbreitunswege, die das Zeitalter der Social Media bereitstellt, kann man mit dem richtigen Produkt zur richtigen Zeit über Nacht zum gefeierten Star werden, ohne sich für die Industrie zu versklaven.
Das Vertrauen in unabhängige GmbHs und deren zielführende Eigenregie im Hip Hop wächst also. Auch wenn der Erfolg in erster Linie vom Künstler und dem aktuellen Zeitgeist abhängt, und fast alle Independent Labels inzwischen Vertriebsdeals mit einem Major haben, rückten „die Architekten des Erfolgs“ dieses Jahr ganz besonders in den Medienfokus. So wurden 2013 die Geschäftsführer zu Wort gebeten. Wie die nationale Presse versuchte, die Business-Moves der rapspezialisierten Indie-Labels nachzuvollziehen, könnt ihr hier,
hier, hier und hier nachlesen.

Da kann man sich einig sein: „Jung, Brutal, Gutaussehend 2“ hat hierzulande kommerziell und medial alles rasiert. Sowohl Kollegah als auch Farid Bang erlebten dadurch in diesem Jahr den größten Erfolg ihrer Karriere. Das Album knackte in kürzester Zeit die Gold-Marke und brach Rekorde: Noch nie wurde hier ein Hip Hop Album in den ersten drei Tagen so oft als Download verkauft.
Das gemeinsame Rezept ist also aufgegangen: Kompromisslos, asozial und konsequent reizten die zwei alles aus, was ihre Männlichkeit und ihr Können an Vorlagen zu bieten hat. Und machte letztlich allen beteiligten Spaß: Das Volk horchte auf und entlohnte das unterhaltsame Freundschaftsprojekt mit großzügiger Honorierung. „JBG 2“ verhalf Kollegah und Farid gleichermaßen zum Aufstieg in die anerkannte Promiriege unter den Deutschrappern.

Das Zeitalter der Instagram-Selfies hat dieses Jahr seinen bisherigen Höhepunkt erreicht: Sehen und Gesehen werden ist die Devise. Auch Deutschrap will endlich sexy sein und sieht die Zeit reif für ein bisschen Schweiß und nackte Haut:

„Leben und Tod des Kenneth Glöckler“ ist ganz klar einer der Tracks dieses Jahres: Mit größter Spannung erwartet, wurde das Video 2 Millionen mal am ersten Veröffentlichungstag aufgerufen. Und die wartenden Beobachter wurden nicht enttäuscht: Das 10-minütige Video gehört zu den spektakulärsten Momenten 2013.
Ǔber die emotionalisierende Tragweite, die andere unvergessliche Disstracks mich sich brachten, kann man in diesem Fall streiten. Vielmehr vermittelt Bushido seine zeugengestützte „Wahrheit“ relativ abgeklärt und wenig verbittert und lässt gleichzeitig in Sachen Qualität oder Unterhaltungswert absolut keine Wünsche offen.
Ist damit nun ein Schlussstrich gezogen? Oder gar ein Urteil im Sinne des „Urteils“ von Kool Savas gefällt?.
Bushido spürt immerhin wieder den „Sonny Black“ in sich emporsteigen.

Den Preis für den Songtitel des Jahres dürfte sich Massiv gesichert haben. Der Wahlberliner hat seit jeher ein Faible für ausgefallene Tracktitel, man denke nur an „Wenn der Mond in mein Ghetto kracht“ oder „Der Ghettotraum in Handarbeit“. Bei der Benennung der Songs zu seinem aktuellen Album „Blut gegen Blut 3“ erreichte Massivs’s Kreativität nochmals ungeahnte Sphären: fantasievoll-abstruse Titel wie „Crack-verjunkte Whitney“ oder „Ich peitsch dich mit ner Königskette“ luden jedenfalls zum gehörigen Staunen ein. Den Höhepunkt der „BGB3“ Song Taufe markierte jedoch eindeutig „Motherfuckin Bitch In Your Ass Nigga“. Massiv definierte kurzerhand die englische Grammatik gänzlich neu und erfand diesen vollkommen sinnfreien aber auch kurzweilig unterhaltsamen Ausspruch. Das dazugehörige Video wurde dann knapp 30 Minuten (!) nach seiner Premiere auf Youtube wegen Verstoßes gegen die Richtlinien der Videoplattform gesperrt. Massiv bewies auch in dieser Situation reichlich Kreativität und änderte den Songtitel einfach in ein Hamburg freundliches „Motherfuckin Bitch In Your Ass Digga“