”Shit gets boring": Verlieren neue Tracks durch alte Musik an Relevanz?

Laut einer Studie des Musik-Analyse-Unternehmens MRC Data repräsentieren alte Tracks knapp 70 Prozent des US-amerikanischen Musikmarktes. Auch wenn es in Deutschland bisher keine vergleichbare Betrachtung gibt, fällt auf: Aktuelle Musik wird immer wieder dafür kritisiert, zu mainstream, zu gleich oder kopiert zu sein. Das gilt selbstverständlich nicht für alles, was heutzutage erscheint. Eines der besten Beispiele dagegen ist etwa „Mann Beisst Hund“ von OG Keemo, der mit dem kürzlich releasten Album zeigt, wie qualitativ hochwertig und vielseitig Storytelling im Deutschrap sein kann.

Dennoch scheint dies am Beispiel der USA auf das meiste zuzutreffen. Mit alten Tracks sind innerhalb der Studie jene, die vor 18 Monaten oder früher releast wurden, gemeint. „People could conceivably be listening to a lot of two-year-old songs, rather than 60-year-old ones. But I doubt these old playlists consist of songs from the year before last. Even if they did, that fact would still represent a repudiation of the pop-culture industry, which is almost entirely focused on what’s happening right now“, schreibt etwa Musikjournalist Ted Gioia in The Atlantic. Dazu kommt nämlich, dass die Liste der meistgedowloadesten Songs auf iTunes voll mit Bands und Artists aus vergangegen Jahrzehnten ist und noch viel entscheidender für die internationale Musikindustrie: Auf TikTok gehen immer wieder ältere Tracks viral. Zuletzt etwa „Careless Whisper“ von George Michael oder – nicht ganz so alt – „Ginseng Strip 2002“ von Yung Lean. Natürlich landen auch neue Songs immer wieder in den Trends, Charts und Playlists, sie bleiben dort aber oft nicht lange.

Die Schuld daran trägt niemand alleine – ganz im Gegenteil, es wirkt fast wie ein Teufelskreis. Komplett neue Musik scheint viele Label nicht zu interessieren, da nicht gewiss ist, wie erfolgreich sie sein und wie viel Geld sie einbringen wird. Die meisten Musikliebhaber finden allerdings keine Befriedigung im heutigen Mainstream, was nicht schlimm ist, denn es gibt eigentlich genug Artists, die ihr eigenes Ding machen. Sie sind oftmals – nicht immer – bloß weniger bekannt oder werden weniger stark vermarktet.

„Alte Musik gewinnt, weil die Leute sich die Zeit genommen haben, wertvolle und zeitlose Musik zu schaffen. Heute signen Label nur noch TikToker und Influencer mit 500k Followern, senden sie ins Studio um mittelmäßige Musik zu machen und jede Woche Singles mit Plastik-Sound zu releasen“, schreibt etwa Rapperin und Sängerin Layla auf ihrem Instagram-Account. Eine Kritik, die viele teilen. „Natürlich hören sich Leute lieber alten Shit an. Sie hören [neue Tracks] für eine Woche oder einige Monate aber früher oder später wird’s langweilig und du hörst wieder alte Sache die dich wirklich etwas fühlen lassen“, so die Künstlerin weiter. Auch Gioia schreibt in besagtem Artikel: „The music industry has lost its ability to discover and nurture their talents.“

Die Musikindustrie, Künstler*innen und Label stehen schon einige Jahre genau dafür in der Kritik, grundlegend geändert hat sich bisher wenig, weshalb man meinen könnte: Es funktioniert trotzdem. Die Studie aus den USA zeigt jetzt jedoch, dass es das nicht tut, denn es wird ebenfalls festgestellt: Während alte Musik immer mehr konsumiert wird, verlieren aktuelle Tracks weiter an Interessent*innen. Die beliebtesten 200 Neuerscheinungen machen weniger als fünf Prozent der gesamten Streams aus, vor drei Jahren waren es noch doppelt so viele. Ein Wandel könnten ein weniger kapitalorientiertes Denken und mehr Freiraum für Kreativität darstellen. Doch die meisten großen Player der Musikindustrie verdienen nach wie vor gut mit ihrer aktuellen Strategie, was wenig Drang zur Veränderung bietet.

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