Wieso "Der Spiegel" auch 2020 keine Ahnung von Rap hat

Deutscher Rap und die mediale Berichterstattung haben ein schwieriges Verhältnis. Während relevante Medien Rapmusik häufig von oben herab bewerten, gibt es den seltensten Fällen brauchbare Berichterstattung im Feuilleton-Bereich jener Zeitschriften. So ist es auch kein Wunder, dass der aktuelle „Der Spiegel„-Artikel über deutschen „Gangsta-Rap“ innerhalb der Szene polarisiert. 187 Strassenbande Künstler Gzuz ziert das Titelblatt des Magazins, eines der relevantesten Medien des vergangenen Jahres, und hebt dabei den Mittelfinger, wie sollte es auch anders sein. Zwischen einer Werbung für Vermögensanlagen und einem Finanzierungsmodell für das neue FordAuto wird dann eben mal erklärt was dieser ominöse „GangstaRap“ denn ist, und weshalb Protagonisten die bürgerlichen Kinderzimmer verderben, immer böser werden und wieso man „Rücken“ braucht. Ah ja.

Formuliert wurde dieser Text im übrigen von 13 Journalisten. Zum Vergleich: Der Journalist Jürgen Dahlkamp gehört zu diesen 13 Leuten. Jener wurde, mit fünf weiteren Mitgliedern des Spiegel-Teams, für den Artikel „Sommer, Sonne, Schwarzgeld“ mit dem Nanne-Preis für die „Beste-Investigation“ ausgezeichnet. Wenn sechs Redakteure es schaffen Wolfgang Niersbach zum Rücktritt zu bringen, sollte man meinen, dass mehr als doppelt so viele Leute eine ordentliche Titel-Story zu „Gangsta-Rap“ hinbekommen. Leider wird der Eindruck erweckt, dass jene Redakteure mit Rapmusik ungefähr so viel zu tun haben, wie wir mit Pressekonferenzen des Bundestags. So ist es auch kein Wunder, dass der Artikel mit einer Geschichte aus dem Bilderbuch beginnt. Der gerade 14-jährige „Moritz“ stammt aus gut bürgerlichem Hause und interessiert sich, warum auch immer, für diese so schändliche Musik. Besonders bemerkenswert dabei ist die durchgängige Perspektive aus der berichtet wird. Die Frage ist lediglich wie es sein kann, dass ein Kind aus einer MehrfamilienhausSiedlung Interesse für so etwas entwickeln kann. Schließlich müsste er ja, im Gegensatz zu Kindern aus einkommensschwächeren Gegenden, eigentlich eher im SchachClub sitzen.

So ist auch die Perspektive des Vaters sehr eindimensional. Da „Moritz“ nicht alt genug ist um ein Konzert von LX und Maxwell alleine zu besuchen, muss der arme Papa leider mitgehen. Schlimm genug sich als Elternteil dafür zu interessieren, was die eigenen Kinder in ihrer Freizeit so treiben. „Deshalb musste Papa mit in eine Welt, die ihm fremd war und in der ihm sein Sohn nun immer fremder wurde.“ heißt es im Artikel. Dass sich für den Vater hier die Chance bieten würde dem Sohn eine Erweiterung seines Horizonts zu ermöglichen ist keine Option. Schließlich müsste dafür das „Bürgertum„, von welchem Rapper der Straße anscheinend ausgeschlossen werden, Interesse daran haben zu verstehen was dort passiert.

Auch Leute aus der Szene müssen sagen: die 187 Strassenbande ist kein unbeschriebenes Blatt, gewisse Werte, die sie propagieren, sollten auch nicht glorifiziert werden. Die Wertvorstellung der Hamburger Crew ist jedoch real und aus kei’m Seminar. Deshalb verdient sie es auch besprochen zu werden. Was muss passieren damit ein John Lorenz Moser zu einem Bonez MC wird? Ungleiche Bildungschancen in Deutschland erschweren den sozialen Aufstieg, das ist kein Geheimnis.  In einem Zeitalter in dem knapp 2.100 Menschen mehr Vermögen haben als 60% der Weltbevölkerung wird Authentizität und musikalisches Können zu einer Möglichkeit nach den Sternen zu greifen, eine Möglichkeit selbst einer zu werden. Diese Option ist für Menschen aus einkommensschwachen Gebieten meist die nächstliegendste. Diese Perspektive scheint den Autoren allerdings nicht eröffnet worden zu sein, oder wurde vielleicht als nicht unterhaltsam genug eingestuft. Stattdessen gibt es eine Bewertung von oben herab, Lebensweisen und Wertvorstellungen werden nicht anerkannt. Klassischer Klassismus.

So klingt es ebenfalls, wenn über RAF Camora berichtet wird. Dieser gibt dem Magazin sogar ein Interview, welches als Grundbaustein für ein nachvollziehbares Abbild der Realität hätte sorgen können, so richtig ernst hat man Raphael Raguccis Meinung dann wohl allerdings doch nicht genommen. Natürlich abseits von seinem finanziellen Erfolg. Dieser stellt eine Sprache dar, die wohl universell verständlich ist. Wenn es „Ragucci ist 35 und klug genug, um zu wissen, dass jedes Jugendidol ein Verfallsdatum hat.“ oder auch „Selbst RAF Camora liefert mit seiner neuen Platte ein Liebeslied ab, „Adriana“. Bis zum Ende kommt darin kein Sex vor, nicht mal Oralsex, was treue Fans vermutlich als Produktenttäuschung empfinden.“ heißt, fühlt es sich an als würden die eigenen Eltern einem sagen, wie toll es doch ist, dass du mit diesem „Hip-Hop“ Geld verdienst. Ham‘ se nicht von dir erwartet. Ist ja schließlich die Kunstform der Hauptschüler.

 

Der gesamte Artikel repräsentiert eher die Frage nach dem „Was passiert?“, aus der Perspektive einer Person außerhalb der Szene, als ein „Warum ist das so?“, welches aus der Szene stammen könnte. So wird über Loredana als Beispiel für „verspielten Gangsta-Rap“ gesprochen, wobei diese ja angeblich ein altes Ehepaar ausgetrickst haben soll. Aussagen wie „In der Hip-Hop-Szene heißt es, man könne heute in Deutschland als Gangsta-Rapper nicht werden ohne einen Verbündeten aus dem Milieu.“ werden getroffen, wobei RAF in seinem Interview doch sagt, dass es als erfolgreicher Straßenrapper darauf ankommen würde, welcher Typ man sei. Würde man nicht jedermanns Mutter beschimpfen oder häufig in Beefs involviert sein, bräuchte man keinen „Rücken“. Bedeutet: Obwohl RAF Camora sagt, dass es auch ohne geht, wird in den Raum geworfen, dass es in der „Hip-Hop-Szene“ heißt man braucht definitiv diesen „Rücken„.  Wirkt zwischenzeitlich, als hätten die 13 Autoren ihrem suggestiven Bauchgefühl mehr Vertrauen geschenkt, als einem der erfolgreichsten Rapper Deutschlands. Klingt logisch.

Wird dann noch verschwiegen, oder schlichtweg nicht gewusst, dass Arafats Angriff mit der Plastikflasche erfunden sein könnte, wirft sich die Frage auf, warum dieser Artikel eigentlich geschrieben wurde. Die Berichterstattung ist zwar zehn Seiten lang, wenn der Ansatz des Artikels jedoch so gewählt wurde, wie es der Fall war, hätten auch 30 Seiten nicht gereicht. Das Projekt wirkt wie der 2011 veröffentlichte Blick von RTL auf die Gamescom, wirkt wie „Digga, Dicker, Diggi wir haben schon 3 Jahre nicht mehr gesagt, dass Gangsta-Rapper Straftaten begehen“ und wirkt schlussendlich wie eine schwache Coverstory von einem der relevantesten Magazine Deutschlands. Vielleicht sollte man in Zukunft mal jemanden solche Artikel schreiben lassen, der nicht denkt, dass Rap früher „Schmuddelware“ war.

Ein Kommentar von Haci Altinpinar

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