Fler und Manuellsen Interviews: Warum wir sie so lieben

Lak, ich komm in dieses Café rein – Café full!“ Mit diesen Worten leitet der NRW-Raptitan
Manuellsen eine grandiose Geschichte ein, in der er auf eindrückliche Weise schildert, wie das
klärende Gespräch zwischen Bushido, Arafat und ihm ablief. Dieses Interview erreichte einen nie
da gewesenen Kultstatus und generierte rund 2,3 Millionen Aufrufe. Durch seine markante Art hat
er es geschafft, die Rap-Community in seinen Bann zu ziehen.

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Du Fotze willst sagen, Kollegah rappt wie Rakim?“ Dem Szenekenner muss man wohl kaum
erklären, dass dieser legendäre Gefühlsausbruch dem Berliner Rapper Fler zuzuschreiben ist, der
mit dem sogenannten „Epischen Interview“ für einen Skandal sorgte. In den Kommentarspalten
unter den Videos lässt sich erkennen, mit welcher Vorfreude die Zuschauer seine Interviews
erwarten. Sie werden als Blockbuster gefeiert und sind für viele als abendliches
Unterhaltungsprogramm kaum mehr wegzudenken.

Wie groß das Interesse an diesen beiden Interview-Ikonen ist wurde spätestens dann deutlich als
HipHop.de ein eigenes Format mit dem Namen #DerDiisch ins Leben gerufen hat, wo sie den Fans
ein Realtalkspektakel vom Allerfeinsten servierten.

Nun stellt sich die Frage, wie die Begeisterung für diese beiden Künstler zu erklären ist und warum
ihre Interviews von solch einem Erfolg gekrönt sind? Hierbei fällt offenkundig auf, dass sie sich
hinsichtlich ihrer gnadenlosen Rohheit, Direktheit und Emotionalität gleichen. Warum gerade diese
Eigenschaften so entscheidend sind, soll nun beleuchtet werden. Hierbei geht es jedoch um weit
mehr, als nur um Fler und Manuellesen. Es geht um unsere Gesellschaft. Es geht um dich und um
mich.

Dazu lohnt es sich einen kleinen Abstecher in die Soziologie vorzunehmen und sich der Trennung
der beiden Sphären „Öffentlichkeit“ und „Privatheit“ bewusst zu werden. Die Unterscheidung
zwischen privat und öffentlich ist ein Produkt der Moderne und hat sich im Zuge der
Industrialisierung und der damit einhergehenden Verstädterung entwickelt. Unüberschaubare
Menschenströme verließen ihr dörfliches Idyll, um in der großen Stadt ihr Glück zu finden, ähnlich
wie heute die Schwaben in Berlin.

Natürlich waren diese Landeier nicht an ein derart hektisches Zusammenleben gewöhnt. Um dieser
Überforderung Herr zu werden, einigten sich die bäuerlichen Zuwanderer darauf, dass man nicht
mehr jeden Menschen auf der Straße grüßen musste, ohne dabei als unhöflich zu gelten.

Dieses distanzierte und ignorante Verhalten im öffentlichen Raum nennt sich „urbaner Lebensstil
und konnte sich bis in die Gegenwart erhalten. Überall wo wir uns im öffentlichen Raum begegnen,
sind wir uns körperlich sehr nah, menschlich jedoch meilenweit entfernt: beim Bahnfahren, im
Supermarkt an der Kasse, auf dem Marktplatz oder im Wartezimmer beim Arzt. Dieses gegenseitige
Desinteresse führt sogar so weit, dass man seinen eigenen Nachbarn manchmal erst dann
kennenlernt, wenn der Verwesungsgeruch im Treppenhaus zu extrem wird und man aus
Verwunderung doch mal auf die Idee kommt, die Klingel zu betätigen.

Diese „scheiß-auf-alle-anderen-Mentalität“ verdanken wir unserer Unsicherheit im Umgang mit
fremden Personen. Wir wissen einfach nicht, wie wir uns in diesen ungewissen Situationen
verhalten sollen und ziehen es deshalb vor uns zu ignorieren. Wir nehmen uns nur oberflächlich
wahr, wodurch es nie zu einem vertrauten Verhältnis zu unseren Mitmenschen kommen kann. Auch
das hemmungslose Party machen unter Drogeneinfluss, stellt hierbei nur einen traurigen Versuch
dar, die emotionale Distanz wegzuballern, um den Menschen zumindest ein Stückchen näher zu kommen.

Im Großen und Ganzen ist es aber aber so, dass in der Öffentlichkeit kein Platz für
ehrliche Gefühle und intime Beziehungen ist.

Stattdessen lassen wir unsere echten Emotionen zu Hause und sind lieber Teil eines Theaterstücks
auf der öffentlichen Bühne. Die Gesellschaft ist der Regisseur, schreibt das Drehbuch und gibt uns
vor, wie wir uns als glückliche und erfolgreiche Menschen zu inszenieren haben.

Dieser Lifestyle ist anstrengend und so ist es nur logisch, dass es einen Ort hinter den Kulissen
geben muss, an dem man sich nicht verstellen muss und seinen Gefühlen Freiraum geben kann. Das
ist damals wie heute die private Wohnung. Zu Hause bei seiner Familie, alleine oder mit seinen
engsten Personen wird man so akzeptiert, wie man tatsächlich ist.

Und genau an dieser Stelle wird nun deutlich, worauf sich der Erfolg und die Faszination der beiden
Rapper gründet. Fler und Manuellsen sind Personen, die diese klassische Trennung durchbrechen.
Sie finden in der Öffentlichkeit statt, halten sich aber nicht an die traditionellen gesellschaftlichen
Konventionen, die besagen, dass man sich gesittet und angepasst präsentieren muss. Sie machen
sich frei von emotionaler Selbstkontrolle und pfeifen auf vorgegebene Leitbilder einer erwünschten
Gesprächsführung.

Zusätzlich treten sie bewusst als „echte“ Personen auf und nicht als „verstellteKünstlerfiguren.
Letzteres hat nämlich nur die Funktion, im Schutze einer Rolle sagen zu können, was man möchte,
ohne dabei Konsequenzen fürchten zu müssen, weil man eben nur eine Rolle spielt. Davon
distanzieren sich Manuellsen und Fler vehement und betonen stets ihre Realness, wodurch sie sich
von den meisten Rappern abgrenzen.

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Somit brechen sie jedoch ein Tabu, welches besagt, dass man in der Öffentlichkeit an bestimmte
Regeln gebunden ist. Diese Verhaltensvorschriften sind wiederum vom Menschen gemacht.

Ihre Hauptfunktion besteht darin, uns Handlungssicherheit zu verschaffen. Man kann sich an diesen
Normen orientieren und weiß, wie man „richtig“ zu handeln hat. Da sie dieses Tabu überwinden
und sich eben nicht an „Politische Korrektheit“ halten, private (Nachbarschafts-) Fehden öffentlich
austragen und jegliche Emotionen frei äußern, bringen sie Unordnung in das bestehende
Gesellschaftssystem.

Aus diesem Grund polarisieren sie durch ihre mediale Präsenz. Einerseits sind sie faszinierende
Persönlichkeiten, da sie sich eben nicht an gesellschaftliche Normen halten und somit als mutige
Pioniere wahrgenommen werden, andererseits rufen sie bei einigen Menschen ein Gefühl der
Empörung hervor. Durch ihr „unnormales“ Verhalten sehen nämlich viele ihr eigenes
Ordnungssystem gefährdet, welches besagt, dass es bestimmte Regeln gibt, an die man sich halten
muss.

Der Erfolg dieser Interviews basiert somit auf der Tatsache, dass wir alle den Wunsch in uns tragen,
die gesellschaftlichen Masken abzulegen. Wir haben ein Bedürfnis nach Echtheit und Authentizität,
was wir bis dato aber nicht im öffentlichen Raum ausleben können, weil uns die Gesellschaft klare
Grenzen setzt.

Sind wir mal ehrlich: Wollen wir nicht alle ein bisschen mehr so sein wie Fler und Manuellsen?

Geschrieben von Gastautor Jonas Heuten.

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