Do It Yourself: Deutschrap-Releases gehen neue Wege

Mehr Vielfalt, Abwechslung und Breite als heute, hatte die deutsche Raplandschaft vermutlich seit Bestehen noch nicht zu bieten. Die Young Cats machen Turn Up und die Routiniers machen sich darüber lustig. Jung und alt leben koexistent nebeneinander her – und das höchst erfolgreich. Bei so einem Überangebot an Hip Hop Musik wird es für Newcomer allerdings immer schwerer, sich bis an die Wasseroberfläche durchzukämpfen. Platz ist da sowieso keiner, da muss man schon die Ellbogen ausfahren. Bonez MC hat für alle aufstrebenden Rap-Künstler nur ein Geheimrezept: Weitermachen. Wenn es mit Anfang 20 noch nicht klappt, dann halt mit Mitte 30. Ein langer Atem, Power und viel Geduld sind sicherlich hilfreich beim Weg an die Spitze.

Wie aber soll man seine Musik im Jahre 2017 überhaupt veröffentlichen? Der Download ist ja quasi tot, das bewährte Free Mixtape zum Runterladen erfreut sich nur noch wenig Beliebtheit. Soundcloud ist dem Sensenmann gerade noch mal so von der Schippe gesprungen, hat aber auch deutlich an Popularität eingebüßt. Klar sind da die Streamingdienste, aber wie soll man denn gehört werden, wenn man kein Major Label im Rücken hat, dass einen in die Top-Listen des Landes einkauft?

Interessante Ansätze für eine moderne Form der Vertriebsstrategie liefern aktuell Sierra Kidd, Ahzumjot und Joshi Mizu. Nach seiner Zeit als Zögling von RAF Camora ist Sierra Kidd mit seiner Team Fuck Sleep Crew beim Universal Ableger Chapter One untergekommen und hat mit deren Vertriebsexpertise sein letztes Album „Rest In Peace“ veröffentlicht. Seit dem ist es allerdings keineswegs still um den mittlerweile in Hamburg lebenden Rapper geworden. Im Akkord liefert der junge Künstler neue Musik.

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In feinster Travis Scott Manier hat er kürzlich das Mixtape „Days Before Real Life“ veröffentlicht, welches als Vorbote für sein drittes Solo Album „Real Life“ gedacht ist. Hier ist also klar zu erkennen, der Junge setzt auf Quantität und Fleiß. Zwischendurch gibt es auch immer mal wieder einen Freetrack auf die Ohren, in Zusammenarbeit mit befreundeten Künstlern wie Spinning 9 oder auch Danju. Dabei wird Sierra auch nicht müde zu betonen, dass er alle Fäden selbst in der Hand hat. Vom Text über die Produktion bis hin zur Veröffentlichung geht alles über seinen Tisch. Und genau dahin geht aktuell auch der Trend: Selbst machen!

Szenegrößen wie Ufo361, die 187 Strassenbande und  auch Trettmann haben bewiesen, wie gut das funktioniert! Die aktuelle Erfolgsgeschichte von Trettmann in Zusammenarbeit mit seinem Produzententeam Kitschkrieg ist besonders romantisch. Jahrelanger Hustle hat sich endlich bewährt und spiegelt sich schlussendlich in millionenfachen Streams und Respekt aus der ganzen Szene wider – und das mit 44 Jahren! Auch hier ist ein kleines Team rund um das Soulforce Label für alle Aktionen verantwortlich. Ganz nach dem Motto: Keine neuen Freunde.

Ein weiteres Paradebeispiel dafür ist Ahzumjot. Mit seinem Major Album „Nix mehr egal„, welches vor 3 Jahren über Universal veröffentlicht wurde, hat sich der in Berlin lebende Künstler wenig Freunde gemacht. Wie ausgewechselt scheint er, seit dem er ohne Label und damit auf eigene Faust agiert. Wie bei Sierra Kidd kommen hier Produktion und Text aus einem Guss und finden mit Hilfe des Digitalvertriebs von Spinnup, welcher an Universal Music angebunden ist, den schnellstmöglichen Weg zu den Hörern. Auch die Videos entstehen dabei ohne 5-stellige Major-Budgets, sondern kreativ und style-verliebt in Zusammenarbeit mit seinem Homie 27bucks. Genau deshalb werden seine neuen Sachen auch so rund.

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Nachdem er in Eigenregie dieses Jahr das Album „Luft & Liebe“ veröffentlicht hat, arbeitet er aktuell an einem neuen Projekt und lässt seine Fans quasi live an der Entstehung teilhaben. Singles werden veröffentlicht und landen in einer Spotify Playlist, die aktuell den Titel „RAUM“ trägt. So kommen immer weitere Tracks dazu und ergeben zu einem bis dato nicht feststehenden Datum ein ganzes Album.

Auch Joshi Mizu hat für den Release seines für den 10.11. angekündigten Albums „Kaviar & Toast“ einen besondern Distributionsweg gewählt. Da das Album nur digital erhältlich sein wird, steht abermals Streaming im Vordergrund. Das besondere dabei: Seinen Fans hat er versprochen, monatlich zwei Tracks aus der Playlist seines Albums zu kicken, die am wenigsten gehört werden und durch zwei neue Tracks zu ersetzen. Dadurch entsteht quasi ein interaktives Album, welches den Hörern die Möglichkeit bietet, aktiv in das Release einzugreifen.

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Klar, für die großen Künstler ist immer noch das Boxen-Vorbestellergame von größter Bedeutung und natürlich für den wirtschaftlichen Erfolg des Releases unvermeidbar. Über die Sinnhaftigkeit dieser überteuerten Goodiebags, gefüllt mit Low Quality Merchandise lässt sich weiterhin streiten. Spannend ist allerdings zu beobachten, wie Künstler immer neue Wege finden, um ihre Musik an den Mann zu bringen. Dabei wird im Jahre 2017 oftmals der Independent Weg gewählt. Die großen Maschinerien der Major Labels scheinen zu langsam und schwerfällig zu laufen. Wer am Zahn der Zeit bleiben- und in schnellstmöglicher Frequenz Musik veröffentlichen möchte, verzichtet auf A&R Meetings und am Whiteboard erfundenen Promo-Kampagnen und macht das ganze einfach selbst. Weil es geht.

Wenn wir hier über moderne Releasestrategien reden, müssen auch die Jungs von Live From Earth Erwähnung finden. Auch hier steht das Kredo des Selbstmachens klar im Vordergrund. Der Name ist längst zur Marke geworden und mit Yung Hurn haben sie ein Zugpferd in ihren Reihen, der die Philosophie der freien Kunst transportiert. Unverkopft, schnell & direkt landet die Musik über YouTube und Soundcloud bei den Fans. Kein Major, keine Kompromisse.

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