Review: Nate57 - Stress Aufm Kiez

Stress Aufm Kiez
Stress Aufm Kiez

Nate57´s Debutalbum ist nominell sicherlich bei den Alben, die man sich diesen Sommer geben
sollte, prioritätennmäßig ganz oben anzusiedeln. Durch zwei Free Download Mixtapes und dem in
allen zentralen Deutschrapmedien kursierenden „Blaulicht“ – Video entstand um den 19 – jährigen
St. Paulianer binnen kürzester Zeit ein so gearteter Hype, wie er im Genre des Strassenraps schon
beinah ausgestorben schien. Die „Großen“ des Games sprachen ihren Respekt aus und lenkten das
Spotlight auf ihn. Behält man das im Hinterkopf, ist die Frage schon berechtigt, wie jemand mit
vergleichsweise wenig Output, in der hiesigen Raplandschaft den Respekt und die Aufmerksamkeit
eines breiteren Spektrums auf sich ziehen kann. Um eine Antwort auf diese und andere
Fragen die Person Nate57 und das Rattos Locos Label betreffend zu bekommen, widme ich mich
nun seinem 17 Tracks starken Longplayer, der den Titel „Stress auf dem Kiez“ trägt und auf eben
genanntem Label erschienen ist.

Im Falle des Titels ist der Name Programm. Denn Dreh- und Angelpunkt in Nate?s
Gedankenkosmos bildet das Leben und Aufwachsen im von sozialen Spannungen geprägten
Karoviertel, St. Pauli. Der offensichtliche Lokalpatritoismus bringt auch das Aufgreifen der
typischen St. Pauli Symbolik in Form des Totenkopfes mit sich und lässt auf ein gewisses
politisches Profil schließen. Dazu später aber mehr.

Den „Anfang“ macht Nate auf einem rohen Beat, der stimmungsmäßig an die Melancholie des
Queensbridge Sounds Mitte der Neunziger erinnert und begleitet wird von gekonnt gerappten
Doubletimepassagen. Mit Zeilen wie „zu viele bunte Farben/ hinter den Fassaden/ es ist grau, hier fehlt die Luft zum atmen“ erläutert er dem Hörer seine eigene Sicht auf den Kiez und das Dasein im
Schatten der bunten Lichter. Auf „Santa Pauli Patriot„, Anspielpunkt Nummer zwei, untermauert
Nate seine Verbundenheit zu St. Pauli und dessen umstürzlerischen Tradition und Geschichte. Dies
zum Teil auf einem hohem Unterhaltungslevel: „Rostocker Fans haben nicht so viel zu lachen/ denn Pauli Pullis tragen mittlerweile auch Kanacken„. Der wütende Anfangsabschnitt findet seinen
Höhepunkt in dem Titeltrack „Stress auf dem Kiez„. Auf einem qualvoll drückenden, eingängigen
Beat unterstreicht er eindrucksvoll, dass er ein besonderes Talent dafür besitzt seine
Lebensverhältnisse authentisch zu beschreiben und wiederzuspiegeln.
Das Leben in sozialer Armut, Kompensation durch Drogenkonsum (?Gefährliches Mädchen?), der
Generalverdacht der Polizei gegenüber ihm und seinem Umfeld, die ständige
Unterdrückungserfahrung und das Fehlen einer Lebensperspektive im Rahmen des Legalen; das
sind Faktoren, die aus Nates Sicht den Stress in der ?Waffenfreienzone? bedingen. Hier werden
Straftaten nicht glorifiziert oder legitimiert, sondern entgegen der blinden Hasstiraden so mancher
Gangsterrapper ein Versuch unternommen die Gründe für die Bedingungen zu liefern, die Ursache
sein können für die Entstehung eines sozialen Brennpunkts. Mit Tracks wie ?Fick die Welt?,
?Unterdrückt?, ?Ende? oder ?Geld regiert die Welt? wird Nate diesem Anspruch gerecht. Der Hass
der ?Unterschicht? bekommt hier seine Adressaten. Der Staat und dessen Repräsentant, die
Polizei, die westliche Welt, Großkonzerne: im Großen und Ganzen die federführenden Institutionen
die auf globaler und nationaler Ebene Herrschaft und Kontrolle über die Lebensverhältnisse der
Menschen ausüben, werden für Unterdrückung und Unrechtsverhältnisse verantwortlich gemacht.
Seine Form der Gesellschaftskritik, gehüllt in einen kapitalismuskritischen Mantel, beweist, dass
Rap auch in Zeiten des Stumpfsinns als Sprachrohr für die Unterprivilegierten dienen kann.
Neben den Straßenbangern und sozialkritischeren Tracks sind auch feinfühlige, nachdenkliche
Tracks wie „Tränen“ (feat. Reeperbahn Kareem), ?Es tut mir leid? oder ?Träume?(feat. Telly Tellz),
der die Sehnsucht nach einem besseren Leben zum Ausdruck bringt, vorzufinden. In Anbetracht der
inhaltlichen Bandbreite könnte man jetzt noch seitenlang über das, was Nate beschäftigt, sinnieren.
Doch gestaltet sich das, was musikalisch auf ?Stress aufm Kiez? passiert, nicht weniger interessant.

Versucht man zu greifen, was der Wert der Loyalität für Nate bedeutet, so ist die Auswahl der
Beteiligten an der Produktion des Albums nur konsequent. Features kommen nur aus dem direkten
Umfeld und sein Bruder, Blacky White, ist für sämtliche Produktionen verantwortlich.

Diesbezüglich könnte man natürlich die partiell sehr rohen Untergrundproduktionen, verglichen mit
der produktionstechnischen Elite in diesem Land, kritisieren. Doch darf man nicht außer Acht
lassen, dass gerade Nates Stimme, die dazugehörige, extravagante Raptechnik, seine gesungenen
Hooks und die ganze Stimmung die dadurch transportiert wird, in Kombination mit den Beats, nach
merhrmaligem Durchhören des Longplayers, ihren eigenen Charme entwickeln. Resultierend aus
dieser strukturellen Geschlossenheit in der Philosophie der Rattos Locos ergibt sich im Großen und
Ganzen ein eigener durch das Lebensgefühl auf dem Kiez inspirierter Style. Achtet man auf die
akustischen Feinheiten, so kann man sagen, dass so viel Liebe zum Detail in diesem Album steckt,
wie das bei einem Musikprodukt im Kontext des Tempos der Leistungsgesellschaft nur noch selten
zu finden ist. Eine immer wieder auftauchende Hafengeräuschkulisse, Filmausschnitte, bremsende
Autos und Scratches transportieren Lebensgefühl, sie machen das Album lebendig.

Betrachtet man nun das Gesamtpaket das Nate in seinem Erstlingswerk schnürt, so ist festzustellen,
dass für mich die wichtigsten Kriterien eines guten Rapalbums erfüllt sind. Natürlich ist bei einem
19 ? jährigen Newcomer immer inhaltlich und flowtechnisch noch Platz nach oben zu erwarten,
dennoch schöpft sich der Wert dieses Albums aus dem Transport des Lebensgefühls. Definitiv
unterstützenswert!

Bewertung: 4,5 von 6
Bewertung: 4,5 von 6