Von Messerstechern zu Moral-Aposteln ? Der Wandel des Straßenraps (Teil IV)

Nun folgt der vierte und zugleich letzte Teil des Serientäters Graef und seiner Reihe ?Von Messerstechern zu Moral-Aposteln ? Der Wandel des Straßenraps?. Letzte Woche endete Teil III mit dem aktuellen Stand von Bozz Music. Wie auch schon in Teil I beschrieben, klagt Azad momentan über den Stand seiner Karriere und um seine Firma Bozz Music. Nach seinen eigenen Aussagen rät ihm sein Steuerberater seit nun mittlerweile 2 Jahren zu einer Schließung des Labels. Es wäre nicht das erste Label mit ehemaligem Majorsupport, welches die Pforten schließen würde, wie man an den bereits erwähnten Kandidaten Aggro Berlin und Optik Records sehen kann.

Doch gab es auch einmal ein Label, welches laut Ex-Aggro-Mastermind Specter die einzige Konkurrenz für Aggro Berlin hätte sein können. Ehemals befreundet, versuchten sie Anno 2006 Aggro Berlin mit einem groß angelegten Singlediss – inklusive Support vom Major Warner Music – vom Thron zu stoßen. Es handelt sich natürlich um niemand Geringeren als Shokmuzik und D-Irie. Gegründet von der Breakdance-Crew Flying Steps und unter der Leitung von Big Sal releaste Shokmuzik Ende 2006 die D-Irie Single ?Was jetzt los?, auf der die Aggro-Clique und Bass Sultan Hengzt verbal über die Klinge geschubst wurden. Zu meiner Verwunderung erhielt dies damals eine sehr hohe Aufmerksamkeit. Erstmals war ein Künstler wegen einer Single bei MTV TRL zu Gast. Wenig später war dies nicht mehr verwunderlich, nachdem herauskam das Shokmuzik für das Album von D-Irie ?Live dabei? einen Deal mit Warner Music abschloss. Natürlich reagierten die gedissten Personen und deren Umfeld umgehend. Auch wenn zuerst nicht auf Songs, sondern in Interviews. 2007 widmete ein Fler fast ein ganzes Mixtape – namentlich ?Air Max Muzik? – dem Shokmuzik Camp, was mich doch sehr verwundert hat. War das wirklich nötig? Doch Shokmuzik traf für einen kurzen Zeitpunkt den Nerv der Zeit und standen stellvertretend für all diejenigen die Aggro Berlin nicht sonderlich mochten und für ?Pop? hielten. Fast unbeeindruckt meisterte Aggro Berlin diesen kleinen Zwischenfall interessanterweise ohne Imageeinbusen. Was tun, wenn eine Runde bereits verloren ist? Natürlich! Den nächsten Gegner suchen. Und dieser ließ nicht lange auf sich warten und kam auch noch aus der direkten Nachbarschaft im Berliner Stadtteil Wedding.

Shokmuzik sah durch den Wahlberliner Massiv eine große Gefahr und richtete die nächste größere Disswelle nach 2006 in Richtung des ?Neu-Berliners?, der gerade einen medienwirksamen Vorschuss von einer viertel Million Euro seitens Sony Music mit einem passenden Deal kassierte. Die Berichterstattung über Shokmuzik’s Handeln fand nun sogar in TV-Formaten wie Spiegel TV statt. Dort wurde D-Irie sogar als ?Rapperlegende? tituliert. Schon sehr amüsant. Im gleichen Atemzug wie Massiv, wurde in einem Nebensatz auch Azad gedisst. Massiv und Azad konterten – wie bekannt – mit ihren Songs ?Opferfest? und ?A.Z. Pit Bull VS. Shmok Muzik?. Schade um all die ganze Aufmerksamkeit, denn Anfang 2007 ist das Debütalbum von D-Irie ?Live dabei? hoffnungslos gefloppt. Folglich hat sich Warner Music prompt aus dem Staub gemacht und wollte mit Shokmuzik nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Auch andere Artists kamen nicht mehr nach und bevor nun Schluss, Aus, Ende und Sense war, brachte Shokmuzik nur noch ein einziges Mixtape im Eigenvertrieb heraus. Danach kam dann das bittere ?Fin? und den Namen Shokmuzik traf man fortan nur noch in Geschichtsbüchern an. Dadurch wurde nochmal offensichtlich, dass das Label keine Vielfalt bot, sondern nur Rapper, die die absoluten Straßenklischees bedienten.

Auch ein Künstler, der vorübergehend bei einem Major war, ist Prinz Pi. Für das sehr elektrolastige Album ?Neopunk? (2008) nahm er die Hilfe von Universal Music in Anspruch. Das hat aber leider alles nichts geholfen, denn die Verkaufszahlen waren für den Major und den Künstler nicht zufriedenstellend. Zudem waren die Fans mit dem Umstand auch nicht so zufrieden. Danach haben sich auch noch No Peanuts und der frisch gebackene Vater Prinz Pi getrennt, damit ?The Artist formely known as Prinz Porno? sein eigenes Imprint Keine Liebe für das bevorstehendes Album ?Teenage Mutant Horror Show II? aus dem Boden stampfen kann. Die weitere Zukunft war und ist immer noch ungewiss. Bei Prinz Pi muss allerdings gesagt werden, dass er immer die ?andere Seite?, des lange Zeit extrem angesagten Straßenraps darstellte und sich von diesem Weg nie abbringen ließ. Man darf gespannt sein, denn in der heutigen Zeit, mit der momentanen Lage könnte Prinz Pi mit seinem Potenzial und seinem Stil sicher nochmal den Markt erfolgreich aufmischen.

Ein anderer Artist, der auch einmal durch Aggro Berlin mit Universal Music zusammenarbeitete, ist das Sekte-Mitglied B-Tight aka ?Der Neger? aka ?Bobby Dick? oder wie auch immer er sich morgen nennen wird. Aggro Berlin und Universal Music drängten ihn zu seinem Album ?Goldständer? (2008) in die Richtung der elektronischen Musik. Der erhoffte Erfolg blieb trotzdem aus. Wobei im Marketing Bereich ehrlich gesagt auch nicht allzu viel für das Produkt und den Künstler getan wurde und im Booklet noch nicht mal extra Fotos, sondern nur Bilder aus dem Video ?Sie will mich? benutzt wurden. B-Tight ist im Übrigen nach der Schließung von Aggro Berlin nicht von Universal Music übernommen worden. Warum? Ganz einfach: B-Tight hat im gleichen Zeitraum wie Fler Aggro Berlin verlassen. Dies wurde damals aber nicht bekannt gegeben. Aus diesem Grund wurde der Vertrag eben nicht von Universal Music übernommen. Nun ist B-Tight bei seinem eigenen Label Sektenmuzik als Künstler unter Vertrag und hat geplant, nach dem Sekte-Album, welches am 11. September 2009 erscheinen soll, sein Album zu veröffentlichen.

Wo ich gerade bei Sektenmuzik bin, muss ich auch einmal den vermeintlich, ultimativen Straßenrapper Alpa Gun erwähnen. Seine damalige Single ?Ausländer? zu seinem Debütalbum ?Geladen und Entsichert? (2008) hat viele überrascht. Ich hatte selbst nach unzähligen Statements ? la ?Du Hund? (Hip Hop Open 2004; Statement zu Azad) nicht gedacht, das Alpa Gun eine solch durchdachte und sozialkritische Single veröffentlicht und dies auch nicht aufgesetzt wirkt.

Allgemein würde ich sagen, das Straßenrap ?Made in D? noch lange nicht zur Vergangenheit gehört. Es muss nur richtig gemacht werden. Dies ist natürlich leichter gesagt als getan, da die letzten Jahre die Konsumenten mit teils sehr hanebüchenen Promostunts überstrapaziert wurden und mittlerweile jede Aktion ein Promo-Gag sein könnte. Der Spaßfraktion mit ihren frechen, durchdachten und ungezwungen positiven Aussagen gehört im Moment die Zukunft. Der Straßenrap wird und kann wunderbar nebenher existieren, ohne in absehbarer Zeit in dem Hype der letzten Jahre baden zu können.

Kleine Schlussbemerkung:
Auch nächste Woche wird eine neue Ausgabe von ?Graefliche Ansichten? auf 16bars.de erscheinen. Diese und folgende Ausgaben werden allerdings jeweils nur einzelne Themen und Ansichten behandeln.

Euer Dominik Graef