Von Messerstechern zu Moralaposteln ? Der Wandel des Straßenraps (Teil III)

Letzte Woche endete der zweite Teil dieser Reihe damit, dass Jan Mehlhose, seines Zeichens Gründer und ehemaliger Geschäftsführer von Subword, von 2007 bis 2008 bei Selfmade Records in die Geschäftsführung mit eingestiegen ist. Mit seiner Beteiligung stieg Selfmade Records erstmals in die Charts ein. Die Alben ?Alphagene? (Kollegah; Platz 51), ?Anarcho? (Favorite; Platz 24) und ?Kollegah? (Kollegah; Platz 17) waren Schlüsselprojekte auf dem Weg dahin, wo das Label heute steht, an dem es einen gewissen Szenehype genießt. Und wie bereits bei Kollegah angesprochen, hat Selfmade Records früh die Segel neu gesetzt und die vorhandenen Images seiner Künstler relativiert und abgeschwächt. Kollegahs Image beispielsweise hat starke Anleihen an das, was man einen Straßenrapper nennt. Doch die schieren, manchmal grenzenlos wirkenden Übertreibungen relativieren viele Textpassagen, die manch einen Jugendschützer aufschreien lassen würden. Die Szene versteht dies, doch am Beispiel eines Boulevard-Formates ? la ?Taff? merkt der geneigte HipHop-Fan, dass eine medienübergreifende Anerkennung und Akzeptanz oder so etwas wie Verständnis noch sehr weit entfernt sind.

Insgesamt ist das Rooster von Selfmade Records im direkten Vergleich zu Aggro Berlin und Ersguterjunge nicht auf eine Richtung fixiert und festgefahren. Allen voran sticht hierbei natürlich das neueste Mitglied in der Bande hervor: Casper. Casper wurde in der Vergangenheit gerne als Emo-Rapper tituliert, weil seine Lieder auch einmal Namen wie ?Rasierklingenliebe? tragen und er äußerlich einfach nicht in das Bild eines Rappers passen möchte. Er ist mehr Rocker als Rapper ? in einer sehr sympathischen Form. Er rockt heute schon die großen Bühnen runter, jetzt fehlt nur noch die generelle Aufmerksamkeit der Medien und Musikhörerschaft abseits vom HipHop-Universum. Und Casper soll im Endeffekt Selfmade Records in die Top 10 führen. Zuzutrauen wäre es ihm ? aber natürlich nicht im Weihnachtsgeschäft. Nur so am Rande: Eigentlich hätten Kollegah und Farid Bang mit ihrem Album ?Jung, Brutal, Gutaussehend? und damit verbundenen Promo- und Produktaufwand die Top 10 knacken sollen. Man denke nur an die verkaufsfördernde Maßnahme mit der Steelbook-Edition. Wären nur genug Einheiten dieser limitierten Version in einer Woche über Media-Control-angebundene Vertriebskanäle verkauft worden, wären die Top 10 sogar in greifbarer Nähe gewesen.

Doch zurück zu Casper. Was unterscheidet Casper von anderen Rappern? Warum wird er hier in der Reihe überhaupt genannt? Geht es hier nicht nur um Messerstecher? Casper lässt bei seinen Auftritten die Mengen, wie man so schön sagt: Abgehen und hinterlässt am Ende bei jedem ein Lächeln und vermittelt ein positives Gefühl. Die Themen sind sehr verständlich, einfach verpackt und sprechen von menschlichen Emotionen. Es ist am Ende des Tages für die Meisten einfach authentischer und realistischer. Casper und die anderen Selfmade-Acts Kollegah, Favorite und Shiml sind immer noch Newcomer, die sich deshalb in einem gewissen Rahmen noch ausprobieren können.

Völlig unabhängig von der Qualität der Musik sollte jeder Künstler sein eigenes Unikat sein und eine leicht verständliche und ?greifbare? Message vermitteln. Hierzu erwähne ich gerne das ?Love Movement? von KAAS. Denn die Welt steht voll mit Positivem, welches wir manchmal einfach übersehen, weil unsere innerliche Einstellung gerade nicht danach ausgerichtet ist. Auch andere Künstler wollen einfach nur Spaß haben und diesen auch vermitteln. Hierzu muss man natürlich auch die selbsternannte, erste Boygroup im HipHop, die Orsons, erwähnen. Nicht ohne Grund findet auch hier KAAS seinen Platz neben Maeckes, Plan B und Tua. Auch K.I.Z. sind mit ihrem rabenschwarzen Humor, elektrolastigen Beats und mit den vielen neuen Gesangshooks in diese Sparte einzusortieren.

Und jetzt komme ich wieder zu den auf der Strecke gebliebenen Straßenrappern zurück, die sich wahrscheinlich zu sehr von Sätzen, wie ?Ich bekomme dafür Geld, dass ich Sätze hinschreib? (Eko Fresh) oder ?Es würd sich auch verkaufen, hätt‘ ich meine Lieder gefurzt? (Bushido) zum Rappen verleiten lassen. Dies zieht natürlich viele Nachahmer mit sich. Und manche haben es dann doch vom Internet in die Läden geschafft. Doch hier darf man selbstverständlich großzügig aussortieren.

Hätte beispielsweise der völlig unrelevante King Zaza nicht Features von Bushido, Baba Saad, Azad und Kaisa für sein Album ?Multikriminell? bekommen, hätte Fight4Music es auch nicht herausgebracht. Mir erscheint es sowieso ein bisschen so, als ob sich Fight 4 Music nicht um großes Talent, jedoch mehr um große Featurebeiträge bemühe, um über diese herauszukommen. Auch ein 13-jähriger Gameboi hätte ohne eine Videosingle mit Eko Fresh sein Album so nicht heraus bringen können. Am Ende muss sich das Geschäft schon lohnen. Da geht es nun nicht um den großen Reibach, sondern mehr um Effektivität: Guten Umsatz und vor allem guten Profit.

Insbesondere am Beispiel des Berliner Straßenraps konnte man sehen wo es hinführen kann, wenn es die ersten Euros zu verdienen gibt. Die mittlerweile gespaltenen Lager sind sich Spinnefeind und der Straßenstadt mit ihren Mietsblöcken in Problembezirken fehlt es inzwischen an HipHop-Straßenprofil. Im Westen von Deutschland hingegen hat sich, abseits von Selfmade Records und German Dream, wieder eine kleine ?Clique? aufgebaut. Seien es die bereits angesprochenen La Honda Beef Boyz, oder der Rückkehrer Manuellsen, der sich allzu oft und gern mit einer gewissen Authenzität und Kredibilität brüstet, und der Bonner Xatar, der auch allzu gerne an den Kölner Ringen und Umgebung unterwegs ist. Nicht zu vergessen sind auch die im Westen ansässigen Künstler Snaga & Pillath, Olli Banjo, Fard, MontanaMax, Joka, Blumio oder auch, der durch die Free-Sinan-G-gepushte Kampagne ehemalig inhaftierte Sinan-G.

Allgemein muss gesagt werden, dass wenn ein guter Plan und ein noch besseres Konzept hinter einem Künstler stehen, dann kann theoretisch alles verkauft werden ? mit der Gefahr das Künstler heute mehr eine Lifestyle-Marke als einen Musiker darstellen. Und hier muss ich einmal auf Azad zu sprechen kommen. Azad hat eine tolle Karriere hingelegt und bereits viele Stationen mit Bravour gemeistert. Kaum jemand nimmt ihm seine Ausflüge in den Mainstream, wie beispielsweise zu The Dome, übel. Er selbst hat nun aber, nachdem er mit Bozz Music auf eigenen Beinen steht, die Notbremse von seinen Mainstreamausflügen eingelegt und wollte mit den Produkte ?Azphalt Inferno? und ?Assassin? ?zurück zu seinen Wurzeln? und noch einmal kräftig auf den Tisch hauen. Problem an der Sache ist meines Erachtens nur, dass, wie er selbst in einer Coverstory mit einem Printmagazin äußerte, er noch einmal richtig Gas geben will, viel über Bozz Music herausbringen wird, um am Ende den Schlussstrich zu ziehen und einfach einmal zu schauen, ob es sich gelohnt hat. Dieses ?einfach herausbringen und mal schauen, was am Ende herauskommt? ist ein Schuss nach hinten. Dies zeigt auch das Releasejahr 2009 von Bozz Music, denn leider konnte sich bei keinem einzigen Release bisher nennenswerter Erfolg einstellen. Und bei Bozz Music sind neben Azad ja noch die Künstler Jeyz, Hannibal & Solo aka 439.

Fortsetzung folgt am Montag, den 20.07.2009, hier an gewohnter Stelle, auf 16bars.de

Euer Dominik Graef