Von Messerstechern zu Moralaposteln ? Der Wandel des Straßenraps (Teil I)

Ich widme mich heute dem Thema ?Von Messerstechern zu Moralaposteln ? Der Wandel des Straßenraps?. Wer erinnert sich nicht an die Mitte der 90er Jahre, als aus Rödelheim, in Frankfurt am Main, Moses Pelham und Thomas Hofmann als Rödelheim Hartreim Projekt Deutschland mit ?neuer Härte? aufhorchen ließ. 1994 war es für die Jungs kein Problem, von ihrem ersten Album über 160.000 verkaufte Einheiten abzusetzen und 2 Jahre später mit ihrem zweiten Album mit über 180.000 Einheiten und einem Platz 3 in den Charts noch einen draufzusetzen.

Seitdem ist viel passiert. Auch von den Inhalten, Charakteren und Verkaufsstrategien her. Heute klingen die Werke von Rödelheim Hartreim Projekt im Vergleich zu den lautstarken Rappern der letzten Jahre doch etwas, sagen wir mal, soft. Die Spirale hat sich nach oben gedreht und geht gerade einen Schritt zurück bzw. zur Seite.

Ich begehe einfach mal einen Zeitsprung in die Gegenwart. Der Musikmarkt liegt am Boden ? das hört der geneigte Fan und Käufer zwar momentan von allen Seiten, doch es ist so, denn der Kuchen wurde längst aufgeteilt. Die großen Rapper dieses Landes, die auch von der Musik leben können, haben längst ihr Geld gemacht und womöglich gut angelegt. Azad zum Beispiel aber klagt momentan in der HipHop-Presse über zurückgegangene Verkaufszahlen und überlegt die Schließung des musikwirtschaftlich völlig uninteressanten Labels Bozz Music in Frankfurt am Main. Kool Savas musste sein Label Optik Records aus ähnlichen Gründen schließen. Ich spreche extra von ähnlich, denn zu 100% weiß es keiner, außer den Beteiligten selbst. Genauso bei Aggro Berlin, welches im Jahre 2009 für manche überraschend seine Pforten schloss. Nicht zu vergessen ist Royal Bunker. Doch muss man hierzu sagen, dass das Label außer der Hervorbringung von K.I.Z. die letzten Jahre mehr von den Legenden aus den Anfangstagen rund um Kool Savas und dem medienpräsenten Marcus Staiger lebte.

Nun sind wir im Jahre 2009 und der Straßenrap im HipHop-Universum, abseits vom Mainstream, lebt durch die zweite, dritte, vierte oder auch fünfte Reihe von Nachwuchsrappern immer noch, die eben die letzten Jahre entweder noch nicht rappten oder noch nichts vom Kuchen sahen. Ich spreche hier von Künstlern, wie Farid Bang, den La Honda-Jungs, Jeyz und vor allem von denen, die in jüngster Vergangenheit über Fight4Music aus Berlin, wie MC Bogy oder auch King Zaza, erschienen sind.

Viele der heutigen Straßenrapper ? und ich vermeide absichtlich den Ausdruck Gangster-Rapper ? stellen ihre angebliche, von ihnen auch glorifizierte, kriminelle Vergangenheit heute als Warnung für die Jugend dar. Doch die Texte sind die gleichen geblieben und erinnern oftmals in deletantischer Art und Weise an einen Bushido aus den Anfangstagen.

Was muss man da von Bero Bass und OJ Kingpin alias La Honda in Texten hören, wie ?credibil? und ?authentisch? sie sind und wie sie 100 Kilo Bioskunk in der ersten Klasse der Lufthansa über Amsterdam und Aachen nach Köln bringen (La Honda feat. Baba Saad ? Ich bin ein G) oder was passiert ?Wenn es Nacht wird?. In Interviews wird zudem großspurig erzählt, wie sie Bushido keine Ansage, sondern ein Versprechen erteilen, das wenn nicht sie, dann aber der kleine Cousin von Bero Bass, Bushido fertig macht. Anderer Orts ließt man von den gleichen Beteiligten, dass dies ja alles nicht so gemeint ist und das sie eigentlich der Jugend zeigen wollen, wie sie es nicht machen sollen. Haben sich die Texte geändert? Nein. Glaubt irgendwer, dass sich die meist minderjährigen Hörer die Aussagen aus den Interviews einprägen? Nein. Wollen das beispielsweise La Honda? Eher nicht ? Sonst sollten sie einmal an der Präsentation feilen. La Honda ist ein sehr gutes Beispiel wie Künstler, die irgendwann auf ihrer vierteljährlichen Abrechnung merkten das in der heutigen Zeit ? und damit sind auch die letzten 2 ? 3 Jahre gemeint ? kein Jackpot mit solcher Musik mehr zu holen ist und so nach der ganzen Diskussion um Gewalt im deutschen HipHop irgendwie versuchen, das Segel noch mal neu zu justieren, aber das ?gewusst-wie? lassen wir mal außen vor. Es interessiert keinen mehr.

Beim nächsten Künstler fällt dies wahrscheinlich noch mehr auf, als bei La Honda. Er ist ein junger Palästinenser und Pirmasenser, der nach ?tight over shoulder?-Blicken auf einmal auf Pressematerialien lächelt, zum Zusammenhalt der Völker und Kulturen aufruft, sich früher von käuflichen Frauen Koks vom Schwanz ziehen ließ und sich als Märtyrer stilisierte und, Vorsicht O-Ton, ?Schieß doch, schieß, es ist nur ein Mensch den du tötest, aber niemals eine ganze Bewegung? (Ghettolied 2) in die weite Welt schrie, worauf er prompt einige Monate später – in Form von Schüssen auf sich – die Quittung kassierte. Ob Promostunt oder nicht, sei einfach mal dahingestellt. Und wenn doch, ist es einfach nur geschmacklos. Natürlich, wie auch anders, spreche ich gerade von Massiv ? dem ?Mann aus dem Volk?. Er hat im Übrigen schon früher in Interviews davon gesprochen, das er Kulturen und Völker vereinigen möchte, nur ist das einfach im Tagesgeschäft untergegangen. Wie auch anders? Da ist ein muskelbepackter, etwas hölzern wirkender Araber, der die oben genannten Dingen ausspricht und zu gern den Mond in Ghettos krachen lässt und mit ?Libanesen einen krassen Terroranschlag? (Opferfest) auf Shok Muzik planen möchte. Und der soll gleichzeitig der nette, vielleicht auch beste Freund, von nebenan sein? Nein, das klappt nicht und das hat auch Sony Music mit großer Verspätung gemerkt und lässt nun Massiv lächeln und mit dem Goethe-Institut durch den nahen Osten reisen.

Das Sony Music (früher Sony BMG) ihn damals mit einem horrenden und medienwirksamen Vorschuss von einer viertel Million Euro unter Vertrag nahm, darf man dem Major zu damaligen Zeiten nicht zum Vorwurf machen. Es war damals die Zeit und Guido Schulz der Mann am richtigen Ort, der Massiv vermittelte und so seine, sicherlich nicht kleine, Provision für die Vermittlung kassierte und mit seiner Firma No Limits Music auch in das Projekt Massiv involviert ist. Doch besonders durch seinen Vertragsabschluss mit Massiv hat der Major seine über Jahrzehnte festgefahrenen Strukturen und Denkweisen offenbart. Da ist ein Typ der gerade einen kleinen Hype genießt, also nehmen wir den Mal, ohne daran zu denken, wie sich dieser entwickeln kann und soll. Zudem haben sie Massiv dauerhaft an sich gebunden, denn damit dieser aus dem Vertrag herauskommt, muss mindestens der Vorschuss wieder recoupt / zurückbezahlt sein. Das ist sicher nicht der Fall.

Nun haben sie da den ?einen aus dem Volk? oder aus der ?Hollyhood?, der bereits mehrmals durch die Bertelsmann-eigenen Medien, wie RTL Aktuell, Spiegel TV bei RTL, RTL II und Konsorten geschickt wurde und mit seinem dritten, sehr mainstream gehaltenen Album ?Meine Zeit? absolut keinen Erfolg verbuchen konnte. Platz 30 ist eindeutig zu wenig und Eingeständnisse seitens der Beteiligten wegen einer falschen Strategie inklusive.

Sony BMG bzw. das Sublabel Subword hat es bei Eko Fresh damals schon nicht geschafft aus dem Bravo-Rapper den Cordon-Träger schlechthin neben Bushido zu machen. Die haben ja Eko Fresh damals auch einfach eiskalt verheizt. Der A&R von Subword / Sony BMG hat damals jeweils die Videos von Kool Savas mit ?Urteil? und Eko Fresh?s ?Abrechnung? abgesegnet, somit auf Rotation bei ?MTViva? und im Internet geschickt und beide aufeinander aufgehetzt. Subword / Sony BMG haben sich damals sowieso nicht um ihre Künstler gekümmert. [?]

Fortsetzung folgt am Montag, den 06.07.2009, hier an gewohnter Stelle auf 16bars.de

Euer Dominik Graef