Interview: Homeboy Sandman über Stones Throw, Joey Bada$$ und den aktuellen Status Quo von Hip-Hop

Homeboy Sandman kommt aus Queens, New York und steht bei dem kalifornischen Traditions-Label Stones Throw Records unter Vertrag. Im Jahre 2007 veröffentlichte er sein erste Album „Nourishment (Second Helpings)“ auf eigene Faust, welches ihm bei Fans von Rap-Musik abseits des Mainstream erste Aufmerksamkeit einbrachte. Die Folge-Alben „Actual Factual Pterodactyl“ und „The Good Sun“ verfestigten seine Stellung als einer der talentiertesten Lyricists im US-amerikanischen „Untergrund“. Vergangenes Jahr stieß Homeboy Sandman dann zu Stones Throw Records, dem Label das insbesondere für die genredefinierenden Veröffentlichungen von J Dilla, Madlib und MF Doom geliebt wird. Dort erschien auch sein letztes Album „First Of A Living Breed“ und inzwischen fast eine Handvoll EP’s.

Wir trafen Homeboy Sandman am letzten Tag des diesjährigen splash!-Festivals, wo er kurzfristig für den erkrankten Travi$ Scott einsprang. Seit unserem Gespräch ist seine neuste EP „All That I Hold Dear“ erschienen.

16BARS: Ich hab gehört, dass du auch mal eine Art Interview-Show auf Youtube hattest. Ein Channel namens „Homeboy Sandman presents: Live aus …“

Homeboy Sandman: Das war von 2007 bis 2008 oder so, ist also schon 5 oder 6 Jahre her. Das war, als ich gerade angefangen hatte zu rappen. Ich wollte etwas machen, das ein wenig Aufmerksamkeit erzeugt. Also habe ich jede Menge Shows mit Leuten gemacht, zu denen ich aufgesehen habe, als ich aufgewachsen bin. Ich dachte mir, dass ich einfach Shows mit ihnen spiele, diese aufnehme und ein kleines Video daraus mache. Denn ich wusste, dass die Leute diese Rapper sehen wollen und was bei ihnen Backstage passiert. Ich habe dann einfach noch Sachen von mir hinzugefügt, um etwas Aufmerksamkeit auf mich zu richten. Das lief relativ gut, aber wir haben dann 2007 oder auch 2008 wieder damit aufgehört.

16BARS: Du bist neben deiner Tätigkeit als Rapper aber immer noch Autor. Du schreibst für die Huffington Post.

Ich habe mal für die Huffington Post geschrieben, aber sie haben sich geweigert meinen letzten Artikel zu veröffentlichen.

16BARS: Wovon handelte der?

Es ging um das wirtschaftliche System der Gefängnisse und wie HipHop benutzt wird, um Leute ins Gefängnis zu treiben. Es ging um die 2 Millionen Menschen, die in den amerikanischen Gefängnissen auf legale Weise versklavt werden. In privaten Gefängnissen, die als Geschäftsbetrieb geführt werden. Die Leute, die diese Gefängnisse besitzen sind die selben Leute, die HipHop-Musik fördern, die von Dingen handelt, die dich ins Gefängnis bringen können. Der Artikel wurde letztendlich von Rap-Rehab und anderen Leuten veröffentlicht sowie von anderen MCs unter die Leute gebracht, wodurch er ein wenig Aufmerksamkeit bekam. Aber die Huffington Post wird von AOL geleitet, die auch mit privaten Gefängnissen zu tun haben, also wollten sie sich damit nicht in den eigenen Fuß schießen.

Ich werde heute noch etwas schreiben, wenn ich nach Hause komme, denn ich hatte heute eine gute Idee für einen Artikel, als ich duschen war. In dem Artikel soll es um einige der Lösungen für das genannte Problem gehen, die u.a. Boykottierung beinhalten, was während der Bürgerrechtsbewegung in den 60ern ein probates Mittel war. Genau so wie Selbstverteidigung und bereit zu sein für Veränderung zu sterben. Für echte Veränderung muss man bereit sein zu sterben, jedenfalls wenn es dir wichtig ist. Darüber werde ich schreiben, wenn ich heute nach Hause komme. Seit meinem letzten Artikel habe ich nichts mehr geschrieben.

16BARS: Du sprichst in deiner Musik auch gerne über George Orwells „1984“ und andere Science-Fiction.

Ja, das ist inzwischen die reale Welt. Im College hatte ich Englisch als Hauptfach und meine liebste Art von Literatur war die Futuristische. Wie „Brave New World“ von Aldous Huxley. Ich liebe „1984“, ich liebe „Fahrenheit 451“. Dieses ganze Genre, das die Gegenwart in die Zukunft bringt, um zu zeigen, wie verrückt das alles ist. Das sind auch einige meiner Lieblingsfilme. Vor Kurzem habe ich den neuen „Total Recall“-Film gesehen, der fett war. Leider ist er etwas unter dem Radar der 〓ffentlichkeit geblieben. Wahrscheinlich weil er sehr nah an der Realität war. So wie Dinge, die real sind von den Medien eben immer unten gehalten werden. Es wird alles kontrolliert, die Nachrichten inklusive. Word Up!

16BARS: Wenn du heute einen Artikel oder einen Song schreiben solltest, worüber würdest du schreiben?

Ich habe eben gerade die ersten vier Bars von einem Song geschrieben, obwohl ich noch nicht weiß, wovon er handeln wird. (Holt einen Zettel aus der Tasche) Das habe ich gerade geschrieben, hier steht: „How do you convince a coward to fight, rejuvenate a phony / I got the power of sight, it makes me mighty lonely.“ Das habe ich geschrieben, bevor ihr mich abgeholt habt. Dadurch, dass ich zu all diesen Festivals komme, sehe ich so viele Dinge und es macht wirklich Spaß. Es ist wirklich einzigartig New York zu verlassen und zu sehen was HipHop, urbane Kultur und alles, was damit zusammenhängt, den Leuten in anderen Ländern bedeutet. Ich will aber ganz ehrlich sein: Hier gibt es definitiv eine Menge talentierter Künstler, die ich cool finde, aber es gibt auch schrecklichen Bullshit, der mich traurig macht. Es ist traurig, dass manche Leute hier herkommen, sich die Shows von gewissen Leuten ansehen und denken, dass es eine vernünftige Darstellung von der Kultur wäre, aus der ich komme. Ich denke, davon wird der Song handeln.

16BARS: Was genau frustriert dich am heutigen Rap? Du kritisiert oft den Gebrauch der Sprache in manchen Songs. Was ist das Problem aus deiner Sicht? Gibt es Künstler oder Themen, über die du dich ärgerst?

Ich sag dir lieber, über welche Künstler ich mich freue. Ich bin ein großer Fan von Blu aus Kalifornien. Ich weiß, dass Oddisee hier aufgetreten ist. Er ist fantastisch. KRS-One rockt hier für die Old-School-Leute. Es gibt Rapper, die schon lange dabei sind und ebenso junge Künstler, die sehr talentiert sind. Allerdings bekommen sie nicht die gleiche Unterstützung, weil sie sich nicht an die kommerzielle Agenda halten. Aber das ist es, was ich bevorzuge. Jeder weiß doch, wer die Leute sind, die nur über so fürchterliche Scheiße wie Drogen und Mord rappen. Was nicht heißen soll, dass alle, die über solche Themen sprechen, nicht talentiert sind. Jay Z ist ohne Frage einer der besten Rapper, die es je gab. Ohne Frage. Für mich geht es allerdings um Talent. Was mich traurig macht, ist es wenn ich sehe, dass meine Kunst, meine Kultur und mein Handwerk benutzt wird und man das Talent herausnimmt, um ein bestimmtes Bild oder Produkt zu vermarkten. Es gibt Personen, die hier performt haben, die nicht einmal richtig sprechen können, geschweige denn rappen. Und alle wissen das. Es gibt niemanden, der es nicht weiß, aber die Leute sehen sich das trotzdem an, weil sie berühmt sind und deren Tracks tausend mal gespielt werden, so dass die Leute sich irgendwann denken: „Scheiß drauf, ich glaube mir gefällt der Track“. Das ist traurig. Darum ging es auch in einem anderen Artikel von mir.

Diese Personen sind dazu da, um es so aussehen zu lassen, als wäre es cool, ein scheiß Loser zu sein. Du wirst versuchen, dich cool zu fühlen, dadurch dass du diese und jene Produkte kaufst oder die dummen Aktivitäten machst, die dir vorgeschrieben werden oder auf Teufel komm raus versuchst Geld zu machen. Was auch immer es ist. Das versuchen die zu puschen und anzupreisen. Mit denen will ich nichts zu tun haben, jeder weiß wer gemeint ist, also will ich nicht mal ihre Namen nennen. Aber ich nenne ein paar andere Namen: I Am Many und YC The Cynic aus New York City. Ich will die Leute promoten, die ich feier, denn ich weiß, wenn die Leute von ihnen hören, werden sie sie den anderen vorziehen. Ich habe zwar Oddisees Auftritt neulich nicht gesehen, aber ich bin mir sicher, dass er großartig war. Ich bin mir ebenfalls sicher, dass wenn genau so viele Menschen Oddisee hören würden wie diese Loser – oder sollte ich Bauern sagen, oder sollte ich lieber verwirrte Brüder zu ihnen sagen, für die ich auch irgendwo Liebe empfinde – dann würden die Leute bemerken, dass Oddisees Musik dem anderen Mist vorzuziehen ist.

16BARS: Du hast auch als Lehrer unterrichtet. Denkst du, dass es eine Veränderung gibt? Zum Beispiel hast du über Jay Z gesprochen, der jetzt eine Tochter hat und du hast auch schon über Nas und seinen Song „Daughters“ geschrieben, in dem er davon erzählt, dass er seine Tochter vor den Sachen, über die er einst gerappt hat, beschützen muss. Glaubst du, dass sich die Generationen verändern, weil sie nun realisieren, dass sie ihren Kindern gegenüber vorsichtig mit dem Gebrauch ihrer Sprache sein müssen?

Ja. Ich habe ein wenig über den „Daughters“-Song von Nas in einem meiner Artikel für die Huffington Post geschrieben. Ich weiß nicht mehr welcher Artikel es war, vielleicht war es „Attack Of The Clones“. Es geht jetzt nicht unbedingt um Jay Z oder Nas, aber ich kenne Leute, die… Ich weiß beispielsweise, dass sich meine Freundin sehr verändert hat, als sie ihr Kind bekommen hat. Das war bevor wir zusammengekommen sind, aber ich kannte sie bereits. Ein Kind gibt den Leuten eine gewisse Perspektive. Das ist ein menschliches Leben, dem du beim aufwachsen zusehen kannst. Du realisierst wichtige Dinge, die dir vorher vielleicht nicht bewusst waren. Davon habe ich einiges in dem Nas Song wahrgenommen. Ich sage auch über Jay Z, dass er ohne Frage sehr begabt ist, auch wenn ich nicht besonders viel aus seinem aktuellem Song-Katalog kenne. Ich würde mich auch nicht als Fan bezeichnen, da ich das Meiste, was er sagt, sowieso nicht hören will.

16BARS: Wie gefällt dir die aktuelle New Yorker Szene? Verfolgst du einige von den Künstlern, die gerade an den Start kommen? Wie z.B. Joey Bada$$, der auch hier war.

Um ehrlich zu sein, habe ich noch nicht so viel von ihm gehört. Aber einige Leute haben mir erzählt, dass er sehr talentiert ist. Man kann schon abschätzen, ob jemand talentiert ist, allein schon wenn die Leute zu dir kommen und sagen, dass derjenige Talent hat. Sie kommen dann nicht an und erzählen nur davon, wie berühmt und in aller Munde er gerade ist. Ich hatte noch nicht die Möglichkeit mir etwas von Joey Bada$$ anzuhören, aber ich habe aus guter Quelle gehört, dass er ein talentierter Newcomer aus New York ist, was ich cool finde. Doch wenn ich an New York denke, dann denke ich eher an Sene, I Am Many und YC The Cynik, die ich ja schon erwähnte. Das sind die besten Typen in New York, die ich kenne. Weißt du, es ist seltsam hierher zu kommen. Die Leute, die den New Yorker Untergrund bestimmen, sind nicht der New Yorker Untergrund. Aber es gibt überall Talent. Von daher, ja … Täuschung und Irreführung.

16BARS: Was geht in diesem Jahr bei dir? Du bist ja bei Stones Throw Records und das letzte was du veröffentlicht hast war die DJ Kool Herc Tribute-EP. Hast du ein neues Album in Planung?

Ja, „All That I Hold Dear“ erscheint im August. Das wird komplett von M Slago produziert sein und ist Teil einer Serie, bei der ich jeweils mit einzelnen Produzenten zusammenarbeite. So wie „Kool Herc: Fertile Crescent“, dass von El RTNC produziert wurde. „All That I Hold Dear“ wird komplett von M Slago produziert sein. Ich nehme jeden Tag Songs auf. Ich habe eine Zillionen Songs fertig. Danach kommt die EP mit Paul White namens „White Sins“, wovon wir schon neun Songs fertig haben, also wird es vielleicht sogar ein ganzes Album. Ich habe so viele Tracks! Ich habe mehr unveröffentlichte Tracks als solche, die schon draußen sind. Stones Throw Records ist mein Team, weißt du? Wir werden konstant Sachen veröffentlichen. Vielleicht werden wir noch ein Album raushauen, bevor das Jahr zu Ende geht. Wir werden definitiv ein oder zwei weitere … weißt du, ich will die nicht mal EPs nennen. Auf „Kool Herc: Fertile Crescent“ waren acht Tracks, acht solide Tracks. Wenn du dir das anhörst ist das eine ordentliche Portion. Da geht mehr ab, als auf vielen anderen Alben. Wenn man über andere Alben nachdenkt – du hast vorhin Nas erwähnt – Auf „Illmatic“ waren nur neun Tracks, aber das war ein Klassiker.

„All That I Hold Dear“ kommt definitiv demnächst raus. Darauf habe ich einen Track, der heißt „Musician“. Inhaltlich ist das mein Lieblingstrack da drauf. Einige der Fragen, die du mir gestellt hast … Ziemlich oft schreibe ich besser, als ich spreche. Ich glaube, deswegen mag ich das Schreiben auch so sehr. Ich habe diesen Track „Musician“ geschrieben, in dem es darum geht, was im HipHop so alles respektiert wird. Also falls du interessiert bist, die Antworten zu einigen deiner Fragen zu hören und ich diese hier nicht so gut beantworten konnte, dann sollte das dieser Song wahrscheinlich besser hinbekommen.

16BARS: Wie steht es um Kollaborationen mit anderen Künstlern auf Stones Throw? Wie sieht es beispielsweise mit Oh No oder Exile aus?*

Ich habe einen Track mit Exile, der noch nicht draußen ist, weil wir das Sample noch nicht klären konnten. Der ist richtig fett. Von Oh No habe ich ein paar Beats bekommen, auf die ich allerdings noch nichts geschrieben habe. Er hat ja den Titel-Track meiner letzten LP „First Of A Living Breed“ produziert. Auf dem kommendem Album „All That I Hold Dear“ wird MED auf einem Track gefeatured sein. Ich habe Tracks mit Jonwayne und Vex Ruffin, die noch unveröffentlicht sind. Ich habe einen Track den CX Kidtronic produziert hat, wo auch Pharoahe Monch mit drauf ist. Der wird sehr bald auf CXs Album veröffentlicht werden und wir werden auch ein Video dazu drehen. Dann habe ich noch einen von Large Professor produzierten Song, wo Steve Arrington mit drauf ist, der auf meinem „Bravery Bunch“-Album enthalten sein wird. Ich möchte aber auch noch mit The Stepkids zusammenarbeiten und habe tatsächlich sogar Beats von Peanut Butter Wolf bekommen! Der Mann hat in den letzten zehn Jahren gar nicht mehr produziert und ich habe zwei Banger von ihm bekommen! Also muss ich wohl mit denen anfangen. Bei Stones Throw ist so viel Talent vorhanden. Ich habe nicht mal die Hälfte der Namen genannt, mit denen ich arbeiten möchte. Ich bin so ziemlich der einzige auf dem Label, der aus New York kommt. Abgesehen von Percee P, mit dem ich vor längerer Zeit mal einen Track veröffentlicht habe. Ich bin also meistens in New York und dadurch ist es nicht so einfach, zu kollaborieren oder gemeinsam ins Studio zu gehen. Aber ich werde dafür sorgen, dass das noch passiert.

16BARS: Ok, ich freue mich drauf. Hast du noch letzte Worte für die deutschen Fans?

Peace & Love! Danke euch! Danke an 16bars, dass ihr die Nachricht verbreitet.

16BARS: Danke vielmals.

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