"Mama vertraut meinem Rap": 5 wichtige sido Videos

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Vor kurzem hat sido via Twitter ein Best Of Album für den November 2012 angekündigt. Ob es sich dabei um eine lieblose Ansammlung aller sido Singles handelt oder um eine eigens ausgewählte Zusammenstellung an persönlichen Favoriten des ehemaligen Maskenmannes, ist bis dato noch unbekannt. Allerdings stellt das sido Best Of einen günstigen Zeitpunkt dar um das musikalische Schaffen eines der zweifellos wichtigsten Deutschrap-Künstler der letzten 10 Jahre zu reflektieren.

Anfangs noch von einigen Kritikern als bloßer Krawallmacher und provokanter „Arschficksong“ Komponist wahrgenommen, konnte sido im Laufe seines musikalischen Wirkens und mittels vier Soloalben eindrucksvoll beweisen, dass es sich bei ihm um einen wandlungsfähigen und einfallsreichen Musiker handelt, dessen künstlerischer Horizont über das Verfassen kontroversen Liedguts weit hinausgeht. So bemerkten alsbald auch die letzten Skeptiker, dass der sido Wahnsinn Methode hat und mehr Kreativität hinter der Maske steckt, als man zuvor annehmen wollte.

Folglich nehmen wir uns heute die Zeit um die Solokarriere des Berliners anhand fünf ausgewählter und essentieller sido Videos zu skizzieren sowie sido’s musikalische Weiterentwicklung und die Bandbreite seines Könnens zu würdigen. Dabei können nicht alle wichtigen und gelungenen Videos wie z.B. „Ein Teil Von Mir“, „Carmen“ oder „So Mach Ich Es“ berücksichtigt werden, obwohl natürlich auch diese Clips ebenfalls bemerkenswerte Aushängeschilder darstellen.


SidoWeihnachtssong (2003):

Ende 2003 tauchte das erste Solovideo sido’s in den damals gängigen TV Formaten wie „Get The Clip“ auf. Das Gezeigte bewirkte heftiges Stirnrunzeln bei denjenigen Zuschauern, die sich vorher noch nicht mit den Aggro Ansagen und sido’s früheren Schaffen bei Royal Bunker beschäftigt hatten: Wer war dieser mysteriöse Maskenträger, der im Santa Clause Kostüm betrunken über den Weihnachtsmarkt schlendert, in ein fremdes Haus einsteigt und dabei über eine abgewandelte Version des Jingle Bells Weihnachtsklassikers rappt? Mit dem Einbruch in das geräumige Zuhause eins gutbürgerlichen Haushalts zeigte sich bereits erstmals, dass hier ein Rapper aus der sozialen Unterschicht am Werke ist, der sich vom früher dominierenden Mittelschichten Rap deutlich abgrenzt und eine völlig neue textliche Perspektive aufzeigt.

Schon bei diesem Clip schaffte es sido also mit seinem skurrilen Auftreten eine gewisse Faszination auszuüben und weckte die Neugierde der Leute auf weiteren audiovisuellen Output des bislang noch in weiten Kreisen unbekannten Rappers.


SidoMein Block Remix (2004):

Das Video zu „Mein Block“ stellt ohne Zweifel einen Wendepunkt in der nationalen Raplandschaft dar und läutete die berühmt-berüchtigte Ära des Straßenraps ein, die sowohl innerhalb der Deutschrap Gemeinde als auch in den großen Medien kontrovers und oftmals sehr reißerisch diskutiert wurde. Zugleich bescherte die provozierende Single sido und seinem Label Aggro Berlin den ersten großen Single Charterfolg und etablierte den Berliner somit als ernstzunehmenden und erfolgreichen Künstler. Die Präsentation seines Viertels sorgte dabei anno 2004 für viele offene Münder und ungläubiges Staunen. Während Deutschrap zuvor bis auf wenige Ausnahmen relativ harmlos und angepasst wirkte, flimmerte nun ein maskierter Rapper über die TV Kanäle, der auf unverblümte und kontroverse Weise seinem sozialen Milieu huldigte und sich dabei eines bisher ausgesparten Vokabulars bediente. Dabei steht „Mein Block“ inhaltlich exemplarisch für sido’s Rap Persona und zeigt bereits deutlich die lyrischen Fähigkeiten des „superintelligenten Drogenopfers“: auf ironische und unterhaltsame Art umschreibt sido sein unmittelbares Umfeld und lässt den Hörer dank seiner bildlichen Sprache und den zahlreichen ausgefallenen Vergleichen direkt an seinem Leben teilhaben.

Als einer der mittlerweilen älteren sido Tracks, fällt „Mein Block“ insgesamt expliziter in seiner Wortwahl aus, als spätere sido Singles. Man darf dabei nicht vergessen, dass sido zu diesem Zeitpunkt noch nicht der etablierte und erfahrene Geschäftsmann war, der heute gelassen und unaufgeregt in den großen TV Formaten auftritt, sondern noch ein vergleichsweise unbekannter und hungriger Neukünstler, dessen Lebensmittelpunkt und Sozialisation sich eben noch im Märkischen Viertel abspielte. Als motivierter Jungrapper, der an seinem musikalischen Durchbruch feilte und unbedingt Aufmerksamkeit erlangen wollte, nutzte sido folglich das Mittel der Provokation und setzte auf einen rohen und ungefilterten Wortstil, der Thematiken wie Drogenkonsum und Geschlechtsverkehr in all seinen Formen sehr offensiv abhandelte. Dabei wird wohl auch sido’s Label Aggro Berlin eine nicht unbedeutende Rolle gespielt haben. Das Dreiergespann um Specter, Halil und Spaiche arbeitete bewusst mit dem Instrument der Provokation und präsentierte sido in den Anfangstagen als maskierten und begeisterten Drogenkonsumenten, was das Interesse an sido’s Schaffen nochmals verstärken konnte. Nichtsdestotrotz ist „Mein Block“ eine überzeugende und neuartige Milieu Studie, die sido’s damalige Lebenssituation hervorragend einfängt.

Auch die visuelle Umsetzung des Tracks trug zum Siegeszug der Single bei. Der von Daniel Harder inszenierte Clip präsentierte dem Zuschauer eine vorher nicht wahrgenommene Welt und zeigt den mysteriösen Rapper mit der Totenkopfmaske umgeben von grauen und tristen Hochhäusern sowie finster dreinblickenden Spießgesellen. Zudem wurde aufgrund der textlichen Härten damals nur eine zensierte Version des Songs ausgestrahlt, was jugendliche Hörer wohl nochmals anfixen konnte. Das Medienecho und die allgemeine Resonanz auf den Clip jedenfalls war gewaltig und sido konnte wenig später mit seinem Solodebut „Maske“ Platz 3 der Albumcharts erklimmen.

Insgesamt ist „Mein Block“ daher ein wahrer Meilenstein, und auch wenn sido seinen ersten Charthit heutzutage wohl nicht mehr anhören kann, stellt „Mein Block“ und das dazugehörige Video ein wegweisendes Manifest dar.


SidoMama ist stolz (2005):

Mit „Mama ist stolz“ stellte sido unter Beweis, dass sich sein inhaltlicher Fokus nicht auf Drogen, Sex und Gewalt reduzieren lässt, sondern hinter dem Maskenmann auch ein Mensch mit einer eigenen Geschichte steht. Der Song stellt eine erfrischend unpeinliche Hymne an die eigene Mutter dar, in der sido zudem auch seinen persönlichen Werdegang mit all seinen Irrungen und Wirrungen erläutert. Während Rapper ansonsten bei der Lobpreisung der geliebten Mama gerne mal das volle Pathos Programm auspacken und sich in den bekannten Klischees verirren, geht sido erfreulicherweise unverkrampfter mit dem Thema um und rappt augenzwinkernd und durchaus selbstkritisch über die Beziehung zu seiner Erzeugerin. Im Verbunde mit dem unkitschigen, überzeugenden Instrumental gelang sido somit ein beeindruckender persönlicher Song, der berührt ohne aufgesetzt zu wirken. sido’s Talent, ernste Themen gehaltvoll und spannend zu verpacken kommt bei Mama ist stolz (2005) vollends zur Geltung und zeigte damaligen Kritikern auf, dass der Aggro Berliner kein bloßer Gimmickrapper oder eindimensionaler Rüpel, sondern ein vielseitiger Musiker ist.

Das Video selber wechselt zwischen Backstage/Live Ausschnitten und einem einsamen sido auf einer verlassenen Parkbank und fängt die Ambivalenz zwischen Tour Wahnsinn und introspektiven Momenten sehr überzeugend ein. Insgesamt bereicherten daher Track & Video das musikalische Werk sido’s um eine wesentliche Komponente.

Zusammen mit den Brainless Wankers, performte sido Mama ist stolz beim Bundesvision Song Contest 2005 in einer Punk Version und nahm dabei erstmals seine berühmte Maske ab:


Deine LieblingsrapperSteh Wieder Auf (2005):

sido und Harris aka Deine Lieblingsrapper veröffentlichten Ende 2005 ihre gemeinsame Kollaboration „Dein Lieblingsalbum“ und bewarben ihr Projekt mit einer bombastischen Videoauskopplung. „Steh Wieder Auf“ wurde mit einem Video der Superlative, versetzt, dass durch die zahlreichen Szenewechsel wie ein Kurzfilm wirkt und von sido selber als sein bestes Video bezeichnet wird. Das hohe Budget wurde jedenfalls in clevere Kulissen wie einem Gefängnistrakt investiert und bietet denkwürdige und provokante Bilder wie sido’s Hinrichtung, Eine Kissenschlacht mit schönen Frauen im Hotel samt Polizeieinsatz sowie die Kreuzigung der beiden Freunde. Inhaltlich lebt sido in dem Track nochmals seine rebellische und unangepasste Seite aus, verteilt aber auch Ratschläge an die Zuhörer und trumpft mit einer guten Hook auf. Den Harris Part dagegen kann man eher vernachlässigen.

Insgesamt stellt Steh Wieder Auf vielleicht nicht sido’s größten Hit dar, beeindruckt aber durch sein starkes Video, dass auch noch im Jahr 2012 eine Referenz sondergleichen darstellt.


SidoHey Du (2009):

2009 überraschte sido abermals mit einem sehr persönlichen und gefühlvollen Track. „Hey Du“ kann man wohl ohne Probleme als sido’s bislang beste Arbeit bezeichnen: der Berliner glänzt mit einer ergreifenden Kopf Hoch Hymne, in der er zudem wieder mal autobiografische Elemente einbezieht und sich somit mit den Zuhörer auf eine Ebene begeht. Anstatt auf plakative und ausgelutschte Motivations Metaphern zu bauen, begeistert sido mit intensiven Storytelling über sein Aufwachsen in Ostberlin und das Kaschieren seiner Herkunft und versucht mit seiner eigenen beschwerlichen Geschichte sein Gegenüber wieder aufzubauen. Dabei meistert er scheinbar mühelos den Grad zwischen fürsorglicher und rührender Lyrik und dem üblichen Pathos Geschwafel und umgeht geschickt die drohenden Klischeefallen. Das poppige und stimmungsvolle Instrumental inklusive dem Sample aus dem Berliner Musical „Linie 1“ harmoniert perfekt mit dem Text, so dass eine überwältigende Hymne entsteht, die einen sido auf der Höhe seines Könnens zeigt. Für den bewusst sehr schlicht gehaltenen Videoclip zum Song, der den Texten sido’s genügend Raum bietet, gewann sido den Echo 2010, wobei er aber betont, dass es sich bei dem Clip nicht um sein bestes Video handelt.