Janine & Co: Deutschrap und die armen Mädchen

Wenn man als Deutschrapper an einer Albumproduktion sitzt, dann will man seinem geneigten Zuhörer mehr bieten als die übliche Standardkost. Ein aufstrebender und ambitionierter Wortschmied möchte auf Albumlänge seine künstlerische Vielfalt und seinen Ideenreichtum unter Beweis stellen und klappert daher gerne alle möglichen Themenfelder ab um noch ein passendes Alltagsdrama berappen zu können.

Auf der Suche nach einem düsteren, traurigen und nachdenklichen Sujet, wird dann leider in inflationärem Maße die alte Kamelle der vom Schicksal geplagten Teenagerin herausgekramt und mit all den bekannten Klischees angereichert. Zwar sind die Erzähler meist bemüht, die Geschichte des vom rechten Wege abgekommenen Mädchens raptechnisch sauber und inhaltlich spannend wiederzugeben, doch gerade die plumpe Aneinanderreihung diverser Schicksalschläge erinnert dann manchmal doch sehr an SAT.1 Melodramen ? la „Natalie – Endstation Babystrich“. Zudem ist es nach gefühlten 300 „Mädchen gerät auf die schiefe Bahn“ Songs nicht mehr wirklich kreativ die Christiane F. Story quasi nur leicht verändert zu reproduzieren und dabei alle möglichen schrecklichen Wendungen mit der Brechstange einzubauen.

Hier nun ein paar ausgewählte Stücke, die sich mit dem Storytelling Klassiker des von allen Seiten ausgenutzten Mädchens befassen. Es soll sich dabei in keinster Weise über reale Schicksale lustig gemacht werden, denn in der Realität existieren zweifelsohne solch traurige Lebensläufe zuhauf, die verdienen, dass man sich ihnen mit dem größtmöglichsten Respekt nähert, und die auch im Folgenden nicht verharmlost werden sollen.

Vielmehr soll gezeigt werden, dass auch talentierte und etablierte Rapper manchmal zu viel des Guten wollen und trotz allen Bemühens diese ernstzunehmenden, gesellschaftlichen Stoffe auf sehr plakative Weise überstrapazieren nur um eine größtmögliche Identifikationsfläche zu schaffen. Daher sollen sich die Kommentare zu den jeweiligen Tracks nur auf die Künstler selber beziehen und in keiner Form auf unbestreitbar existierende Teenager Probleme in der heutigen Gesellschaft.

SidoBergab:

Mama schmeißt sie raus, der Typ schickt sie anschaffen.
Sie fickt perverse alte Männer, die ihr Angst machen.

Auf sido’s zweiten Album „Ich“ nahm sich der Aggro Berliner die Muße um ein trauriges Teenagerschicksal zu beleuchten. Dabei nutzt er die Gunst der Stunde um quasi ALLE „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ Klischees in eine Strophe zu packen. Also zum Abhaken: Das Mädchen ist 14 Jahre alt und die Mutter Alkoholikerin. Check. Sie verliebt sich in einen Hero Junkie, wird selber drogensüchtig und geht dann Anschaffen. Check. Später wird sie von einem Freier schwanger, woraufhin ihr Freund ihr rücksichtslos in den Bauch tritt und das Mädel verstirbt. Check.


Farid BangTeufelskreis:

Er verführt sie oft mit Gras und gestrecktem Pepp.
Die Freier behandeln Jasmin wie den letzten Dreck.

Farid Bang hat schon desöfteren verlauten lassen, das er gerne am Bahndamm in Düsseldorf zu Gast ist. Vielleicht ist ihm bei einem seiner Sauna Ausflüge die Idee für das erste Video zu „Banger Leben Kürzer“ gekommen, denn auch „Teufelskreis“ thematisiert das Schicksal einer Heranwachsenden, die in die Fänge der Zwangsprostitution gerät. In Farid’s Geschichte spielt die 18 jährige Jasmin die Hauptrolle, die eigentlich Lehrerin werden will, doch dann von Tarik aka dem „Jungen mit dem Siebener“ aufgegabelt wird. Der „BMW Prolet“ vernascht die junge Frau und schickt sie über kurz oder lang auf den Strich. Natürlich wird auch Jasmin drogensüchtig, verlässt die Schule ohne Abschluss und wird von ihrem Zuhälterfreund verprügelt. Ingesamt also bestes Storytelling nach dem Schema (Christiane) F:


KC RebellRotblaues Licht:

Er stellt sie auf den Strich auch wenn sie weint.
Er sieht nicht dass er sie damit innerlich zerreißt.

Auf seinem neuen Album „Rebellismuss“ fühlt sich KC Rebell ebenfalls verpflichtet das Drama des Rotlichts in einer Strophe des an sich gelungenen Tracks ‚Rotblaues Licht‘ darzulegen. Auch hier findet man die gängigen Eckpfeiler der trostlosen Biografie eines im Stich gelassenen Teenies: das Mädchen ist 21 Jahre und stammt aus einer zerrütteten Familie: die Mutter trinkt und ihr Vater vergewaltigt sie. Dementsprechend hat die Hauptfigur die Schule geschmissen, konsumiert Rauschgift und wird von ihrem Freund auf den Strich geschickt. Das übliche Drama eben:


Fard & SnagaIhr Geheimnis:

Zu Hause rausgeflogen als sie grade 16 war.
Schule geschmissen, obwohl sie mal die Beste war.

Im Zuge ihres Talion Projektes, haben die Ruhrpott Representer Fard & Snaga sich u.a. zusammengesetzt um aus dem freudlosen Leben einer Prostituierten zu berichten. Auch hier verlässt man sich auf die altbewährten Pfade: die Dame wurde mit 16 Jahren aus dem Elternhause verbannt, hat trotz ihres Talents die schulische Laufbahn erfolglos beendet und geht nun Anschaffen um sich als alleinerziehende Mutter durchschlagen zu können. Zwischendurch wird sich dann eine Line gesetzt um die Schmerzen zu vergessen. Insgesamt also die Schilderung eines schmerzlichen Jugenddramas Part 124.


BushidoJanine:

Die Erfahrung hatte sie schon mit vierzehn gemacht.
Armes Mädchen, denn sie wohnt im schlimmsten Viertel der Stadt.

Auch Bushido hat ein Herz für ünterdrückte und gebeutelte Teenager. In seiner Version der Aschenputtel Story ohne Happy End wird die 14 jährige Janine aka „sie macht es einem warm ums Herz wie Glühwein“ von ihrem Stiefvater vergewaltigt und dann schwanger. Allein gelassen und und völlig überfordert mit der Situation, setzt sie das Kind vor einer Kirche ab und springt dann von einer Brücke in den Freitod. So weit, so hart. Immerhin wurde hier die sonst obligatorische Zwischenstation der Zwangsprostitution weggelassen: