Spiegel TV über Indizierungen im Deutschrap: Ein Rückblick

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Was haben Bushido, Sido, Kool Savas, Azad, Bass Sultan Hengzt und Frauenarzt gemeinsam? Nein, dieses Mal geht es nicht um Verkaufszahlen oder Chartplatzierungen, sondern um die zweifelhafte Ehre von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) mit einer Indizierung „prämiert“ zu werden. So wurden im Verlaufe der letzten Jahre zahlreiche Tonträger deutscher Rapper als jugendgefährdend eingestuft und auf den sogenannten Index gesetzt.

Dabei wurden in den früheren Deutschrap Jahren bis auf ein paar Ausnahmen (z.B. die Kool Savas EP „Warum Rappst Du“ oder Taktloss„Battlereimprioriät 7“) eher wenige Tonträger in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen. Mit dem Siegeszug der Aggro Berlin Künstler und der eingeläuteten Gangster- und Straßenrap Ära stiegen dann parallel zu den Verkaufszahlen auch die Befürchtungen bei Jugendschützern und Poltikern, dass dieses so unbekannte Phänomen Straßenrap zur Verrohung der Jugend beitragen könnte. Dementsprechend nahmen in den folgenden Jahren die Indizierungsverfahren sowie die Jugendschutz Debatten in der Öffentlichkeit zu, und auch die Massenmedien mischten in der Auseinandersetzung zwischen besorgten Eltern und bösen Rappern kräftig mit. Vom Stern bis hin zum Spiegel versuchte so jedes relevante Medium seinerseits die neue Gefahr für das Kinderzimmer und den drohenden Untergang des Abendlandes aus ihrer Sicht zu erklären. Dabei entstanden viele kritische aber leider auch einige oberflächliche Berichte, welche die deutschen Rapacts gerne als homophobe, frauenverachtende und aggressive Proleten darstellten. Wenn in Artikeln dann von „Gruppen wie Bass Sultan Hengzt oder Frauenarzt“ geschrieben wurde, dann gab es auch faktische Fehler, die zeigen, dass teils nicht ausreichend recherchiert wurde.

Inmitten in dieser spannenden und hitzigen Debatte rund um die Auswirkungen deutscher Rapmusik auf die heutige Jugend, widmete sich ein Spiegel TV Bericht aus dem Zeitraum 2004/2005 dem aufkeimenden „Gangster Rap Made In Germany“:

Die knapp siebenminütige Reportage ist aus vielen Gründen ein denkwürdiges Zeitdokument und eine teils grotesk anmutende Angelegenheit. So kommt u.a. die mittlerweile in Rapperkreisen gefürchtete und im Bericht als „selbsternannte Sittenwächterin des Bundestages“ betitelte SPD Politikerin Monika Griefahn zu Wort und beweist, dass sie sich im Punchline Rap zuweilen besser auskennt, als die hiesigen Rapanhänger. Die von ihr zitierte Zeile „Ich Fick Dich In Die Urinblase“ stammt ironischerweise von keinem der in der Doku genannten Rüpel, sondern, wie sich nach langere Recherche herausstellte, von einem völlig unbekannten Hobby MC. Fragt sich nur welcher Depp sich freiweilig diese Zeile überhaupt 40 mal an einem Tag anhören will.

Ansonsten versucht der Videobeitrag die vorgestellten Deutschrapper zu entmystifizieren, indem er die Berliner Rapper als „Möchtegern Bösewichte“ aus gutem Hause darstellt und sich gehörig über die präsentierten Vertreter des Straßenraps lustig macht. So wird mehrmals darauf hingewiesen, dass Bushido & Co. nicht im Ghetto aufwuchsen, sondern der „Mittelstands Idylle“ entstammen und erst in ihrer Musik „endlich auf Dicke Hose machen“.

sido wurde seinerzeit von Spiegel TV als „Skandalrapper“ betitelt und auf die „Kennzeichen“ „Gangster Image & Ghetto Kredo, fettes Auto & heiße Miezen“ reduziert. Während sido damals noch das TV Kasperletheater mitmachte und die Vorurteile durch seine (vielleicht aus dem Kontext herausgerissenen) Aussagen im Beitrag bestätigte, ist er mittlerweile komplett souverän im Umgang mit den Medien und tritt heutzutage absolut selbstsicher und cool in den gängigen TV Formaten auf.

Auch Bushido muss in dem Videobericht Häme über sich ergehen lassen: vorgestellt wird er als jemand, der mit seinen Vorstrafen prahle und in seinen Tracks über „Gruppensex, Adolf Hitler und andere Geschmacklosigkeiten“ erzähle. Den Verweis auf den Führer, sah man im Hause Spiegel TV in der Bushido Line: „Ich bin der Leader wie A“. Dass Bushido mit dieser Zeile eher seinen damaligen Universal Kollegen Azad meinte, verheimlicht die Doku.
Auch sonst lässt der Beitrag keine Gelegenheit aus um den Ersguterjunge Paten als ein Familienwagen fahrendes und verwöhntes Muttersöhnchen zu verspotten, das „Tür an Tür mit Mutti“ wohne.

Bushido selber reitet sich zumindest in dem gezeigten Ausschnitt ein wenig selber in die Misere hinein, indem er seine präferierte Mann/Frau Rollenverteilung ein bißchen trotzig erklärt und sich zudem als leidenschaftlichen Puff Gänger beschreibt. Wie auch bei dem gezeigten sido Ausschnitt ist allerdings auch anzunehmen, dass das Redaktionsteam sich nur die kontroversen Sätze gepickt hat um ein möglichst klischeebehaftetes Produkt zusammenzuschneidern. Jedenfalls haben sich schon einige Rapper beschwert, dass sie bei ähnlichen Reportagen über einen längeren Zeitraum interviewt wurden und im Endformat dann nur einzelne Zitate gezeigt wurden, so dass die betroffenen Rapper in einem schlechten Licht dastehen.

Im Jahr 2012 hat sich Bushido vom aufstrebenden Rapper zum Platten Millionär entwickelt, der sogar einen Bambi für Integration einheimsen konnte. Mitten in der Gesellschaft ist der Patentamt Freund jedoch immer noch nicht ganz angekommen. Zwar darf er nun beim RTL Deutschtest teilnehmen und konnte sich somit zum Teil bei den medialen Meinungsmachern rehabilitieren, gleichzeitig darf er sich aber auch weiterhin vom Groove Meister himself Markus Lanz seine Texte aus dem Jahre 2001 vorlesen lassen.

Bass Sultan Hengzt dagegen wird als „Junior Künstler“ eingeführt, der „nur höchstens 5000 Platten verkaufe“. Auch Hengzt wird in dem Bericht als Halbstarker und „Pseudo Ganove“ präsentiert: so darf er zwar über sein juvenilen Schandtaten berichten, muss sich aber auch gleichzeitig gefallen lassen, dass man seinen damaligen Klavierunterricht erwähnt und darüber berichtet, dass der ach so harte Hardcore Rapper früher im evangelischen Jugendzentrum abhing. Die Erklärung, warum man keine schmutzigen Texte schreiben sollte, wenn man als Jugendlicher in einem Jugendzentrum gechillt hat, bleibt der Beitrag allerdings schuldig. Im Vergleich zu damals würde sich heute wohl auch viele Rapper über 5000 verkaufte CD’s herzlich freuen.

Auch Atze Frauenarzt wird von Spiegel TV netterweise indirekt mit einem „Lobgesang“ bedacht. Zwar wird er nicht namentlich genannt, doch zeigt uns die TV Doku ein auf der Bühne tanzenden Frauenarzt, während die Sprecherin eiskalt Folgendes zum Besten gibt: „Dank Indizierungsdebatte sind völlig unbekannte Nullnummern in aller Munde“. Heute wird Frauenarzt über diesen Diss schmunzeln können, denn der Berliner hat zusammen mit seinem Partner in Rhyme Manny Marc die Charts sowie den Ballermann und Ibiza erobert und konnte sogar das von den Medien aufgeschneiderte Image des dumpfen Ghetto Prolls weitestgehend abstreifen.

Frauenarzt’s damaliger oft frequentierter Featurepartner King Orgasmus One darf bei einer Auflistung der bösen Buben des Deutschraps natürlich nicht fehlen . Der I Luv Money Records Inhaber hat ja zahlreiche Spitznamen wie einfach nur Orgasmus oder Orgi 69. Die im Bericht gewählte Kombination King Orgamsus 69 war mir bis dato aber fremd. Auch wird er in dem Report als hauptberuflicher Pornostar vorgestellt, was dann wohl auf Orgi’s nebenberufliche Tätigkeit als Pornoproduzent anspielen soll. King Orgamsus 69 selber hat es dann später verpasst, sich bei einem T?te ? T?te mit Alice Schwarzer zu verteidigen und es vorgezogen in sein Polohemd zu nuscheln.

Somit liefert die Reportage einen interessanten Überblick über den medialen State Of Mind anno 2005. Inzwischen schreiben wir das Jahr 2012 und heute hat sich die mediale Auseinandersetzung mit der weiterhin pulsierenden und sich stetig weiterentwickelnden Jugendkultur teils verbessert, indem Bemühungen, den deutschen Hip Hop zu verstehen und zu erläutern, zu Tage kommen.

Allerdings driften einige Berichte weiterhin in alte Klischees ab und unterstreichen, dass das Schwarz Weiß Denken, was deutschen Hip Hop anbelangt, noch nicht völlig überwunden ist. So widmete sich Spiegel Online Anfang 2010 einem deutschen Rapact. Ein paar Zitate aus den ersten Zeilen dieses Berichtes, können dabei als kleines Abschlussquiz fungieren. Wisst ihr, welche Rapper gemeint sind:

Sie rappen über Huren und spotten über verweichlichte Konkurrenten: Die Hardcore-HipHopper XY beerben die zum Pop abgewanderten Aggro Berliner…Auf 90 Prozent ihres Albums „XY“ rappen XY über Analsex, Huren und die Größe ihrer Geschlechtsteile, aber während eines einstündigen Gesprächs in der edlen Hotelbar fallen weniger Schimpfworte als in einer einzigen ihrer Strophen.

Na, wisst ihr wer gemeint ist? Hier die Antwort.