Von A.N.N.A. bis Easy: Deutschrap in den Single Charts

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Nachdem er mit seinem musikalischen Schaffen bereits monatelang im World Wide Web für Furore sorgte, spiegelt sich die allgemeine Begeisterung für Cro nun auch in den harten Verkaufszahlen wieder: Obwohl seine erste käuflich zu erwerbende Single ‚Easy‚ bereits Wochen vorher auf dem gleichnamigen Mixtape zum kostenlosen Download bereit stand, stieg der Song dank konstantem Radio Airplay und dem sonstigen medialen Interesse an dem Chimperator Signing auf Platz 2 der Media Control Single Charts ein. Der Track tummelt sich auch weiterhin in den Top Ten und mutiert immer mehr zu einem Stück Musik, das den üblichen Rap-Kontext verlässt und Eingang in die Welt der Mainstream Radio Hörer, Gelegenheitshörer und Non Hip Hop Fans findet, die deutsche Rapmusik ansonsten immer noch gerne auf ein „Yo Yo Check den Flow“ reduzieren.

Single-Hits wie ‚Easy‘ sind im Deutschrap aber alles andere als eine Selbstverständlichkeit und auch in Zeiten erfolgreicher Youtube-Klicks längst nicht alltäglich. Wenn man so will, hatten Die Fantastischen Vier den ersten Deutschrap-Single-Hit und zwar mit der Gute Laune Nummer ‚Die Da?!‚. Der Track erreichte im Herbst 1992 Platz 2 der Single Charts und legte den Grundstein für deutschsprachigen Sprechgesang in den Charts:

Die Fantastischen VierDie Da (1992, Platz 2)

Danach konnten vor allem die Rapaktivisten des Deutschrap-Booms Ende der Neunziger zahlreiche Singles in die oberen Chartregionen führen. Die Beginner, damals noch als Absolute Beginner unterwegs, konnten Ende 1998 ihr ‚Liebes Lied‘ zum Beispiel auf Platz 11 platzieren. Mit dem Abflachen des Hypes, entstanden in der Folgezeit dann jedoch deutlich weniger Raphits, die die genre-internen Grenzen überschreiten und die Charts stürmen konnten.

Die BeginnerLiebeslied (1998, Platz 11)

Fraglich ist also, wie man als Deutschrapper einen Single Hit kreiert, der sowohl die hiesige Rapgemeinde, als auch die Gelegenheitshörer anspricht. Warum schafften es einige Raptracks auch jenseits der üblichen Hörerschaft von der breiten Masse wahrgenommen zu werden und muss ein solcher Song gleichzeitig Pop-Appeal ausstrahlen, bzw. eine kommerzielle Ausrichtung haben? Anlässlich dieser Fragen werden nun einige ausgewählte Deutschrap-Single-Hits präsentiert – inklusive der Auswirkungen auf den jeweiligen Künstler und Mutmaßungen über die Gründe des Erfolgs.


FreundeskreisA.N.N.A. (1997, Platz 6)

Freundeskreis, bestehend aus dem Rapper Max Herre sowie DJ Friction und Don Philippe, konnten im Sommer 1997 mit ihrer Single ‚A.N.N.A.‘ einen Mega Hit verzeichnen, der bis auf Platz 6 der Single Charts klettere und 19 Wochen in den Charts verblieb. Das kurze und emotionale Anbändeln zwischen Max und eben jener Anna spricht dank des anrührigen und romantischen Themas wohl Hörer jeder Generation an und behandelt mit seiner Liebesgeschichte ein Sujet, mit dem sich viele Menschen identifizieren können. Gleichzeitig überzeugt der Track aber auch qualititativ und profitiert vom intensiven Storytelling Max Herre, der seine Geschichte eindringlich und unpeinlich vorträgt, sowie der eingängigen Ohrwurm Hook. So entstand ein rührendes aber niemals kitschiges Lied, das nicht nur Raphörer begeistern konnte, als Evergreen deutscher Musik gilt und auch heute noch von den Radiostationen gespielt wird.

‚A.N.N.A‘. stellte den kommerziellen Durchbruch der Stuttgarter Crew dar, die sich in den kommenden Jahren als Vertreter intelligenter und politischer Rapmusik etablieren konnte. Max Herre betrat später Solopfade und releaste zwei Alben, wobei er mit seinem letzten Werk stark in die Singer/Songwriter Ecke driftete. 2012 soll dann wieder ein raplastigeres Max Herre Album erscheinen.


Samy DeluxeWeck Mich Auf (2001, Platz 4)

Samy Deluxe hatte bereits mit seiner Crew Dynamite Deluxe seine absolute Sonderklasse am Mic bewiesen und startete im Jahr 2001 dann mit seinem Solodebut durch. Als zweite Albumsingle hatte der Wickeda MC den Track ‚Weck Mich auf‘ ausgekoppelt, bei dem der sonst für Battlerap berühmte MC nun ernstere Töne anschlug. So stellt ‚Weck Mich auf‘ eine bissige Gesellschafts- und Sozialkritik dar, die Samy Deluxe gewohnt auf technisch hohem Niveau verpackt. Die Menschen konnten sich, angesichts des Erfolgs der Songs (Platz 4 in den Charts), wohl mit der Thematik identifizieren, auch wenn einige Hörer Samy’s Klagelied als undurchdachtes Aufzählen von Allgemeinplätzen ohne Lösungsansätze bemängelten.


Massive TöneCruisen (2002, Platz 5)

Bevor sie, im Juli 2002 mit der ersten Single ‚Cruisen‘ aus ihrem dritten Album „MT3“ die Charts stürmte, war die Crew Massive Töne bereits seit Jahren fest in der deutschen Raplandschaft verankert. Nachdem die Stuttgarter bereits 1999 mit ihrem Song ‚Chartbreaker‘ in die Charts und Radio Playlists gelangt waren, erlebte die Gruppe mit der Autofahrer-Hymne ‚Cruisen‘ zumindest charttechnisch einen musikalischen Höhepunkt. Nach dem Ausstieg Wasi’s, war die Massiven zu diesem Zeitpunkt auf ein Trio, bestehend aus Schowi , Ju* und *DJ 5er Ton, zusammengeschrumpft und sahen sich nach Release des Songs mit massiver Kritik konfrontiert: bereits 1991 gegründet und als Teil des Stuttgarter Verbundes Die Kolchose (u.a. Freundeskreis, DJ Thomilla, Afrob) aktiv, stand die Crew bislang für „echten Hip Hop“ und gaben nun in den Augen vieler Hip Hop-Puristen ihre Wurzeln auf. Zahlreiche Hörer werteten die Hochgeschwindigkeits-Ode als Ausverkauf der Kultur sowie als kommerziell ausgerichtete Anbiederung an den allgemeinen Massengeschmack. So büßte die ehemals respektierte Crew einiges an Reputation ein, fand jedoch auch viele Käufer, die mit dem poppigen Sound der Single durchaus etwas anfangen konnten.

‚Cruisen‘ steht exemplarisch dafür, dass kommerziell ausgerichtete Singles es vor ein paar Jahren noch sehr schwer hatten bei der Hip Hop Fraktion. In dieser Hinsicht hat sich in den vergangenen Jahren mit Sicherheit etwas geändert, denn heutzutage dürfte der Aufschrei der Empörung weitaus geringer ausfallen. Die Massiven Töne jedenfalls veröffentlichten nach „MT3“ noch ein weiteres Album bevor es dann ruhig um die Gruppe wurde.


Eko Fresh feat. G-StyleIch Bin Jung Und Brauche Das Geld (2003, Platz 5)

Auch Eko Fresh kennt die Schattenseiten einer erfolgreichen Single: Der Wahlkölner rappte sich 2003 mit Ich Bin Jung Und Brauche Das Geld in die gängigen Teenie-Formate wie die Bravo oder The Dome, aber die gesamte traditonelle Realkeeper-Fraktion sowie die Rapkollegen prügelten auf den Jungspund ein. Zwar stieg die Single bis auf Rang 5 und verhalf dem jetzigen German Dreamer zu ersten großen Erfolgen, jedoch verkam er zugleich zum Opfer zahlreicher Kredibilitäts-Diskussionen. So attestierten viele Kritiker Eko ein bemerkenswertes Talent, verschmähten aber den kommerziellen Ansatz seiner Musik. Bei der heutigen Deutschrap Generation hätte es ein Song wie ‚Ich Bin Jung Und Brauche Das Geld‘ mit seiner Hommage an den R. Kelly Song ‚Wold’s Greatest‘ wohl leichter:


sidoMein Block (Beathoavenz Remix) (2004, Platz 13)

sido konnte während seiner Karriere bereits einige Singles in höhere Chartgefilde platzieren. ‚Hey Du‚ stieg seinerzeit auf Rang 4 ein und ‚Der Himmel Soll Warten‘ mit Sänger Adel Tawil erreichte gar Position 2 der Bestenliste. Für seine Karriere jedoch wesentlich wichtiger, dürfte die Single ‚Mein Block‚ gewesen sein, die Deutschrap um eine neue Komponente erweiterte, und sido darüber hinaus auch in die großen Medien einführte. Nach Bushido betrat ein weiterer Aggro Berliner das nationale Parkett und schockierte die Rap-und Medienlandschaft mit seiner explizit und provokant vorgetragenen Milieustudie. ‚Mein Block‘ präsentierte einen für Deutschrap völlig neuen Ansatz: statt der unterhaltsamen aber auch relativ harmlosen Lyrik des bislang bekannten und bewährten Mittelschicht-Raps, rappte nun jemand auf unterhaltsame Weise über Drogenkonsum und Sex, was nicht nur viele Raphörer, sondern auch die nationalen Medien interessierte. Dabei konnte sido natürlich auch von der hervorragenden Promoarbeit seines Plattenlabels profitieren, das ihn als maskierten Drogenkonsumenten präsentierte und somit ein mystische Aura kreierte, die das Interesse an den Maskenmann mit den bösen Texten noch intensivierte. So trug neben der neuen und prägenden Thematik wohl auch das gesamte Image des Maskenmannes zu dem immensen Erfolg der Single bei.

Die Vorstellung des Märkischen Viertels kam auf Platz 13 der Single Charts und entfachte in der Folgezeit eine hitzig geführte Debatte um die Auswirkungen der sogenannten „Rüpel Rapper“ auf die deutsche Jugend. Sowohl besorgte Jugendschützer, als auch Politiker und Hobby Psychologen fühlten sich berufen die Musik des Berliners zu kommentieren. sido konnte derweil mit seinem „Die Maske“ Album auf Platz 3 der Alben Charts einsteigen und Aggro Berlin sollte in den kommenden Jahren den hiesigen Deutschrapmarkt teils dominieren. In dem Videoclip sind übrigens neben sido auch Alpa Gun, Fler und Bushido zu sehen:


Azad feat. Adel TawilPrison Break Anthem (Ich glaub an Dich) (2007, Platz 1)

Bevor Azad 2007 mit seiner Titelmelodie zur RTL Serie Prison Break die Charts stürmte, hatte die Faust Des Nordwestens zu diesem Zeitpunkt schon mehrere vier Alben veröffentlicht und seinen Status im deutschen Rap längst zementiert. Das ‚Prison Break Anthem‘ bescherte dem Frankfurter dann aber noch tatsächlich einen Nummer Eins Hit in den Charts. Somit war Azad nach den Die Fantastischen Vier und Sabrina Setlur erst der dritte deutsche Rapact, den dieses Kunststück gelang. Dabei profitierte der Rap Veteran natürlich auch von der Werbestärke des Privatsenders, der seine Serie standesgemäß vermarktete. Weiterhin konnte der Track wohl dank seiner aufmunteren von Azad bekannten „Kopf Hoch“ Thematik, dem gesungenen Adel Tawil Chorus und der eingängigen M3 & Noyd Produktion auch über die Rapgrenzen hinaus Käuferschichten ansprechen. Insgesamt gingen von der Single über 150.000 Enheiten über die Ladentheke, so dass der Bozz sogar eine goldene Schallplatte einheimsen konnte:


Die AtzenDas Geht Ab (2009, Platz 8)

Frauenarzt und Manny Marc waren vor ihrem Charterfolg mit ‚Das Geht Ab‘ bereits seit Jahrem in der deutschen Rapszene präsent und konnten bereits zu diesem Zeitpunkt eine solide und treue Fangemeinde aufweisen. Außerhalb des Hip Hop Kontexts jedoch, interessierten sich die Maintream Medien allerhöchstens für die Sexlyrics sowie den Frauenarzt Künstlernamen und speicherten den Berliner unter Kategorie „Rap-Rüpel“ ab. Mit ihrem Album „Atzen Musik Vol. 1“ reduzierten Arzt und Manny Marc den expliziten Teil ihrer vorherigen Werke und fokussierten sich auf das „Partymachen“ in Reinkultur. Dabei setzten die Berliner Urgesteine weiterhin auf ihren elektronisch angehauchten Soundentwurf und paarten die musikalische Unterlage mit gutgelaunen Mitgröhl Hooks, die schnell viele Fans fanden. Die Kombination aus partytauglichen Beats und leicht verständlichen Texten zum Mitmachen fand sehr schnell viele Anhänger, die vom Rapkonsumenten bis hin zum ordinären Studenten reichten. So kam es dann auch das die Single ‚Das Geht Ab‘ zum Publikumshit reifte und sage und schreibe 70 Wochen in den Single Charts verblieb. ‚Das Geht Ab‘ öffnete den Atzen die Tore in das Berliner Olympiastadion und verhalf dem Duo solch Party Hochburgen wie Ibiza und Mallorca zu erobern. Der Erfolg der Single unterstreicht auch einen Wandel im Deutschrap: während Eko Fresh und die Massiven Töne seinerzeit noch die Gemüter mit ihren poppigen Singles erhitzten, kann sich mittlerweile der Großteil der Rapwelt mit dem Charterfolg der Atzen anfreuden, so dass ermüdende Realness Debatten inzwischen kaum noch stattfinden.